Kurs stimmt - EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und seine Vorschläge

Der Brexit markiert den Tiefpunkt. Die Entscheidung der Engländer, dem europäischen Haus den Rücken zu kehren, war für alle Pro-Europäer ein Schock.

Im EU-Parlament, in der Kommission und in den Regierungszentralen der Mitgliedstaaten wurde verstanden, was die Stunde geschlagen hatte: Um zu verhindern, dass die Gemeinschaft weiter bröckelt, bedarf es eines Neustarts.
Zum Glück hat man sich schnell darauf verständigt, nun keine quälend lange Grundsatzdiskussion über die Frage "Mehr oder weniger Europa?" zu führen oder gar einen Verfassungskonvent zu starten. Vielmehr wollen sich die Europäer zusammenraufen und die Bürger überzeugen. Einfach gute Arbeit abliefern.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ergreift als erster die Initiative und hat in der ersten Sitzungswoche des Europaparlaments einen bunten Strauß von lebensnahen Vorschlägen vorgelegt.
Geht doch - das Programm kann sich sehen lassen. Er will Roaming-Gebühren radikal abschaffen. Er will ein Freiwilligenkorps gründen, in dem Jugendliche vor dem Start in Beruf und Studium Europa erfahren können. Er will ein robustes Urheberrecht schaffen, damit die Kreativen im Internetzeitalter nicht unter die Räder kommen. Details bleiben abzuwarten. Wohltuend ist aber, dass die Kommission nicht einer weiteren Umverteilung zwischen den Mitgliedstaaten das Wort redet, zum Beispiel über eine europäische Arbeitslosenversicherung.
Richtig sind auch die Überlegungen, die manchmal schwer verständliche EU-Politik näher an die Bürger heranzubringen. So will Juncker, dass die Kommission künftig nicht mehr das letzte Wort hat, wenn die Nationalstaaten etwa bei der Gentechnik oder der Zulassung von umstrittenen Ackergiften wie Glyphosat zerstritten sind. Bislang landet in solchen Fällen der Schwarze Peter für unpopuläre Entscheidungen häufig in Brüssel. Dabei wäre es heilsam, wenn die Hauptstädte selbst Verantwortung übernähmen.
Die Kommission ist vergleichbar mit der Regierung auf nationaler Ebene. Niemand würde in Deutschland auf die Idee kommen, einem amtierenden Minister die Kandidatur für den Bundestag zu verbieten. In Europa ist das aber Gesetz. Es ist richtig, wenn auch dieser Zopf abgeschnitten wird.
Nun sind die Nationalstaaten dran: Sie müssen bei ihrem informellen Gipfel in Bratislava an einem Strang ziehen. An der Geschlossenheit hat es zuletzt gemangelt. In der Flüchtlings- und Staatsschuldenkrise haben die Europäer einen zerstrittenen Eindruck vermittelt. Damit sollte in Zukunft Schluss sein.
nachrichten.red@volksfreund.de

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