Lafontaines Erbe

Oskar Lafontaine kann zufrieden sein. Mit einer fulminanten Abschiedsrede hat er seinen Linken noch einmal eindrucksvoll vor Augen geführt, was ihnen künftig fehlen wird: ein personifiziertes Markenzeichen, ohne dass es wohl nie zur erfolgreichsten Parteineugründung der jüngeren deutschen Geschichte gekommen wäre. Einerseits.

Andererseits hat der Saarländer mit den neuen Parteispitzen Gesine Lötzsch und Klaus Ernst zwei treu ergebene Nachfolger installiert, die sein Erbe in Ehren halten. Im Zweifelsfall würde er dafür noch einmal selbst die Strippen ziehen, was nicht wenige Linke als Drohung empfinden. Gemeint ist das Erbe einer politisch zerrissenen Partei, die trotzdem sehr erfolgreich ist. Pragmatisch im Osten, radikal im Westen. Das ist der Stoff, aus dem linke Wahlerfolge entstehen. Fragt sich nur, ob die Partei auf Dauer mit zwei Parteien unter einem Dach leben kann. Der einen, die den Kapitalismus für reformierbar hält. Und der anderen, für die er erst zugrunde gehe!

In der alten SED-Nachfolgepartei PDS war der Kampf um die politische Vorherrschaft bereits zugunsten der Pragmatiker entschieden. Eine Sahra Wagenknecht ist dort niemals Parteivize geworden. In der fusionierten Linkspartei, die dank Lafontaine auch zahlreiche Fundamentaloppositionelle aus dem Westen beherbergt, scheint dieser Kampf von vorn zu beginnen. Immerhin erzielte die Wortführerin der Kommunistischen Plattform unter den Stellvertretern das zweitbeste Wahlergebnis, eine ausgemachte Regierungslinke (Halina Wawzyniak) dagegen das mit Abstand schlechteste.

Ob die Linken mit derlei Zwiespälten auch weiter leidlich leben können, hängt jedoch weniger von ihnen selbst als vielmehr von der politischen Konkurrenz ab. Die Partei ist ja nicht durch Einbindung groß geworden, sondern durch Ausgrenzung. Sicher, im Osten trägt die Linke auch Regierungsverantwortung. Aber genau deshalb muss sie dort auch Farbe bekennen. Im Ergebnis relativiert sich dann schon mal ihr Höhenflug. Siehe Berlin, wo die PDS einst nach fünf Jahren rot-rotem Senat in der Wählergunst regelrecht abstürzte. Über das sozial Wünschbare zu schwadronieren ist halt immer bequemer, als unter dem Diktat leerer Kassen das sozial Machbare zu praktizieren.

Übertragen auf die aktuelle Situation heißt das: Würde die SPD den ernsthaften Versuch unternehmen, mit den Linken in Nordrhein-Westfalen eine Zusammenarbeit auszuloten, wäre es mit der Gemütlichkeit vorbei. Im Augenblick kann sich ihr neues Führungsduo darauf beschränken, Lafontaines widersprüchliches Erbe zu verwalten. Zu mehr sind Lötzsch und Ernst vielleicht auch nicht in der Lage. Ihre Bewährungsprobe hätten sie erst, wenn die Linken auch im Westen den Regierungstest antreten müssten.

nachrichten.red@volksfreund.de

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