Lebendiger Rassismus?

"Rassismus lebt!" Das ist der Aufschrei vieler Farbiger in den USA nach dem Freispruch für den weißen Nachbarschafts-Wächter George Zimmerman. Unruhen drohen, weil die afro-amerikanische Minderheit glaubt: Hier wurde der Mord an einem schwarzen Teenager nicht gesühnt, weil der Täter weißer Hautfarbe ist.

Und dies, obwohl er einen Unbewaffneten bei einer Konfrontation mit einem Schuss ins Herz getötet hat. Doch der Vorgang, der Trayvon Martin das Leben kostete, hatte allein deshalb eine rassistische Komponente, weil Politiker und Bürgerrechtler in den USA dies so wollten. Allen voran US-Präsident Obama, der sich noch vor Prozessbeginn auf die Seite der Trayvon Martin-Unterstützer gestellt hatte.
Dies verlieh dem ohnehin hochemotionalen Prozess eine ungeheure Dynamik. Denn noch immer sitzt das Gefühl unter Amerikas Schwarzen tief, im Alltag krass benachteiligt zu werden. Eine durchaus berechtigte Klage, an der auch die Wahl Obamas zum ersten farbigen Präsidenten nichts geändert hat. Statistiken zeigen beispielsweise, dass Schwarze in den USA überproportional bei Verkehrskontrollen gestoppt werden. "Driving while black" wird dieses Phänomen bezeichnet, das dadurch zu erklären ist, dass Ordnungshüter tatsächlich Farbigen unterstellen, stets dunkle Absichten zu haben. Auch im Fall Zimmerman kann dies eine Rolle gespielt haben - in dem Augenblick, wo sich der Amateur-Cop zur Verfolgung des Jungen entschloss.
Doch beim wirklich strafrechtlich relevanten Vorgang - dem Kampf der beiden und dem Todesschuss - fehlten der Anklage die unbestreitbaren Fakten, um das Notwehr-Argument auszuhebeln.
Am Ende entschieden die Geschworenen streng nach den Buchstaben des Gesetzes. Dies mag für die Familie des Opfers und viele Betrachter auch in Europa unerträglich sein. Zumal kritische Fragen bleiben: Warum befand sich beispielsweise unter den sechs Geschworenen - die Jury setzte sich aus fünf weißen Frauen und einer lateinamerikanischen Frau zusammen - kein Vertreter der Farbigen?
Die Antwort: Auch die Anklage hatte bei der Auswahl ein Mitspracherecht. Und man versuchte vor allem Geschworene zu finden, die zu dem Fall keine Vorurteile hatten. Dieses Kriterium machte es offensichtlich schwer, ein Mitglied der afro-amerikanischen Minderheit zu berufen.
Am Ende bleibt, obwohl das Urteil von der unbestreitbaren Faktenlage her nachvollziehbar ist, deshalb ein bitterer Beigeschmack. Amerika rühmt sich stets, das beste Rechtssystem der Welt zu haben.
Doch solange in Florida und anderen Bundesstaaten die Gesetze bei einer Bedrohung auch den Tod eines Streitpartners ohne rechtliche Folgen erlauben, solange dürfte es in den USA immer wieder ähnliche Tragödien geben - und zornige Reaktionen, die die Kluft zwischen Schwarz und Weiß weiter vertiefen.
nachrichten.red@volksfreund.de

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