Liberaler Fehlstart

Was waren das für schöne Zeiten, als die rheinland-pfälzischen Liberalen noch in der außerparlamentarischen Opposition saßen und von dort aus der Landesregierung immer mal wieder gegen das Schienbein treten konnten. Mal waren die Straßen im Land zu schlecht, mal der Unterrichtsausfall zu hoch und mal Polizei und Justiz personell unterbesetzt.

Alles war die rot-grüne Regierungstruppe schuld; mit der FDP, so das vollmundige Versprechen vor der Landtagswahl, wären all die Fehler nicht passiert, wird alles Zukünftige besser.
Und nun werden die gerade erst in den Landtag eingezogenen und gleich an den Kabinettstisch zurückgekehrten Mannen von Vize-Ministerpräsident und Parteichef Volker Wissing plötzlich schneller von der bitteren Realität eingeholt, als ihnen lieb sein kann. Und ausgerechnet der alte und erfahrene Hase Herbert Mertin sieht ziemlich alt aus.
Ein wegen Mordes und Vergewaltigung verurteilter Schwerverbrecher türmt während eines nur oberflächlich bewachten Ausgangs - und der zuständige Minister wird tagelang über diesen einmaligen Vorgang nicht informiert.
Da liegt der von der oppositionellen CDU erhobene Vorwurf, dass Herbert Mertin sein Haus nicht im Griff habe, auf der Hand. Ausgerechnet Herbert Mertin, dem in seiner ersten Amtszeit als Justizminister in der damals noch rot-gelben Koalition nachgesagt wurde, er mache einen Topjob, sei ein würdiger Nachfolger des 1999 wegen seiner schweren Erkrankung zurückgetretenen Peter Caesar.
Doch das ist lange her, und in der Zwischenzeit ist Herbert Mertin auch in den Reihen der Landesliberalen längst nicht mehr so unumstritten wie bei der ministeriellen Premiere. Viele in der Partei maulten nach Bekanntwerden seines Comebacks, dass es sich um eine Konzessionsentscheidung an die Altvorderen handele. Dazu passte auch Mertins erst knapp zwei Wochen zurückliegende Niederlage bei den Wahlen zum FDP-Bezirksvorsitz. Der Amtsinhaber und Minister verlor gegen einen Herausforderer, der sich zuvor heftigst gegen ein Ampelbündnis ausgesprochen hatte. Die Niederlage war nicht nur eine Niederlage Herbert Mertins, sondern auch eine Schlappe für Volker Wissing.
Keine Frage: Der Landesvorsitzende hat die nach der fünf Jahre zurückliegenden Wahlschlappe am Boden liegende Partei aufgerichtet, motiviert und zurück in den Landtag geführt, wo die FDP jetzt sogar den Vize-Ministerpräsidenten stellt. Doch das ist nur die eine, schöne Seite der Medaille. Die andere ist die politische Realität, mit der Regierende - anders als außerparlamentarische Oppositionelle - konfrontiert werden. Und in dieser Funktion müssen die Herren Wissing und Mertin erst noch beweisen, dass sie es immer noch draufhaben.
r.seydewitz@volksfreund.de

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