Liebesgrüße nach Moskau

Das Weiße Haus und der US-Verteidigungsminister können es drehen und wenden, wie sie wollen: Der wichtigste Grund dafür, dass Barack Obama nun das Raketenschild-Projekt beerdigt, ist nicht das Schneckentempo beim Bau iranischer Langstreckenraketen oder die Aussicht, ein billigeres, zunächst schiffsgestütztes System bauen zu können.

Das alles sind nur vorgeschobene, gleichwohl höchst willkommene Argumente. Das Hauptmotiv des US-Präsidenten ist, dass das Prestigeobjekt von George W. Bush nicht mehr zu einer geopolitischen Strategie passt, bei der Diplomatie zum dominierenden Element zählen soll. Moskau hat kühl in diese offene Flanke Obamas geschlagen und angesichts des Raketenschildes, der angesichts seiner rein defensiven Ausrichtung niemals eine wirkliche militärische Gefahr für Russland war, lange genug und schließlich erfolgreich gequengelt. Kein Wunder also, dass jetzt bei manchen in Polen und Tschechien die Enttäuschung über das Einknicken Washingtons und die Liebesgrüße in Richtung Moskau tief sitzen. Nun hofft Obama, dass der Einfluss Moskaus Teheran doch noch zum Einlenken im Atomstreit, aber auch zu weiteren Abrüstungskonzessionen bringt, die dann der innenpolitisch glücklose Präsident als Erfolg verkaufen könnte. Doch der mit Blick auf den G-20-Gipfel geschickt getimete Verzicht auf den Raketenschild ist, was das Nuklearthema angeht, eine Art letzter Versuch. Im Kreml verspürt man wenig Lust, die Ambitionen Teherans zu beschränken. In Washington weiß man das - und hat kürzlich Hillary Clinton mit Überlegungen vorpreschen lassen, eine Art "Sicherheitsschirm" über die Nahost-Anrainerstaaten zu spannen, wenn Iran in den Besitz einer Atombombe gelangt. Das spricht für eine insgeheime Bereitschaft Washingtons, dies letztlich zu akzeptieren. Doch den Vorwurf, nicht alles diplomatisch unternommen zu haben, will das Weiße Haus nicht provozieren - und verzichtet deshalb auf den Raketenschild zugunsten einer neuen "Sicherheits-Architektur", deren Zukunft genauso ungewiß ist wie die Vorgänger-Idee. Denn will Obama das neue Konzept umsetzen, muss er erst 2012 wiedergewählt werden.

nachrichten.red@volksfreund.de

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