Merkels Rolle im US-Wahlkampf

Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel nun nach dem Rating-Schock - der am Freitag von der Agentur Standard & Poors verkündeten Herabstufung von neun der 17 Länder der Euro-Zone - auf schnelle und resolute Schritte zur Stabilitätssicherung dringt, dürfte für das Weiße Haus eine willkommene Nachricht gewesen sein. Denn mittlerweile hat sich die Ansicht in den USA verfestigt, dass weder die derzeit laufende Kandidatensuche der Republikaner noch die Fähigkeit des Präsidenten, seine Basis noch einmal zu begeistern, am Ende die wirklich entscheidenden Faktoren für eine Wiederwahl von Barack Obama am 6. November dieses Jahres sein werden.

Nein, in den führenden Medien findet sich derzeit immer häufiger das Fazit: Merkel hält den Schlüssel für Barack Obamas Erfolg in der Hand.
"Sie dürfte die wichtigste Figur im Bemühen um seine Wiederwahl sein," beschrieb kürzlich das Wall Street Journal die Nebenrolle der Kanzlerin: "Die große Sorge ist, dass die Probleme Europas gerade im Wahljahr eine schwere Last für das Wachstum in den USA sind." Merkel werde dabei - wie kein anderer europäischer Politiker - den Weg Europas aus der Schuldenkrise bestimmen. Zu dieser Erkenntnis ist man im Weißen Haus längst gekommen, denn Obama und ein Teil seiner Kabinettsmitglieder halten zu keiner europäischen Regierung einen engeren, von freundlichem Mahnen und Drängen geprägten Kontakt als zum Kanzleramt und der Dependance von Wolfgang Schäuble. Und mehrfach mahnte der US-Präsident in öffentlichen Reden in den letzten Monaten an, Europa müsse "sein Haus endlich in Ordnung bringen" - ein Wink mit dem Zaunpfahl vor allem in Richtung Berlin, wo man sich vor allem Führungsstärke erhofft.
Denn in Washington hat sich längst Frustration breitgemacht, was das Krisenmanagement der EU angeht. Der Kern der häufig vorgetragenen Kritik: Wann immer es neue Hiobsbotschaften gebe, versammele man sich in der EU eilig auf Gipfeltreffen, um eine Lösung zu verkünden. Sobald dann jedoch das Kleingedruckte dieser Vereinbarungen durchdringe, mache sich erneut Pessimismus breit - und die Erkenntnis: Die Kernprobleme bleiben, es gibt nur oberflächliche Reparaturen.
Den Europäern drohe deshalb nun ein "langer trüber Winter". prognostizierte am Samstag die New York Times nach dem Bekanntwerden der S&P-Entscheidung und warnt ausdrücklich davor, Griechenland weitere Zahlungen vorzuenthalten. Deutlich wird die Zeitung dabei gegenüber der Bundeskanzlerin: Eine "engstirnige Spar-Besessenheit" werde die Krise nur noch vertiefen, so ein Kommentator. Der am Wochenende erneut formulierte Vorwurf europäischer Politiker, die Entscheidungen der Ratingagentur seien vom Zeitpunkt her unangebracht und vermutlich politisch motiviert, ist in den USA nur schwer nachvollziehbar. Das Weiße Haus hat in den letzten Monaten allzu deutliche Kritik vermieden - wohl auch im Bewusstsein, angesichts der ausgerechnet im Wahljahr drohenden erneuen Zahlungsunfähigkeit im Glashaus zu sitzen.
nachrichten.red@volksfreund.de

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