Obamas Dilemma

Von ganz unten ganz schnell nach oben. Der unglaubliche Aufstieg des Präsidentschaftskandidaten Barack Obama faszinierte im Jahr 2008 die Welt und endete mit der Vereidigung des Wahlsiegers am 20. Januar 2009 vor dem Kapitol.

Ein Jahr später ist Ernüchterung eingekehrt, die Begeisterung verebbt. So manche überhöhte Erwartung - durch die überraschende Verleihung des Friedens-Nobelpreises noch in die Stratosphäre gesteigert - ist an den politischen Hürden gescheitert, die sich vor dem Mann auftürmen, in den auch Europa so große Hoffnungen gesetzt hat.

Beim Klimaschutz tritt der Haupt-Schmutzfink Amerika immer noch auf der Stelle, in Guantanamo sitzen immer noch Terrorverdächtige, und in Afghanistan geht es militärisch in die Offensive und nicht nach Hause. Das liegt auch daran, dass Obama zu viel zu schnell wollte - getrieben offenbar von seinen eigenen Versprechungen in bejubelten Wahlkampf-Reden. Hinzu kommt, dass er sich gelegentlich - wie bei der Gesundheitsreform - das Steuer vom Kongress aus der Hand nehmen ließ und somit den Ideologen in Washington weitgehend kampflos das Feld überließ.

Deshalb brachen auch schnell die Grabenkämpfe wieder auf, die er eigentlich zu den Akten legen wollte. Obama müsse endlich führen wie ein Präsident, mahnte ihn kürzlich die "Washington Post" und fragte, wo der "change" ("Wandel") geblieben sei. Das trifft den Kern von seinem Dilemma, das sich gut mit der Situation von Bundeskanzlerin Angela Merkel vergleichen lässt: Zu selten ist klar geworden, wofür er trotz vieler wohlklingender Worte wirklich steht. Will er den Kampf gegen die Taliban mit ganzer Macht führen - oder zeigt das frühe Abzugsdatum seine Halbherzigkeit? Will er die Exzesse der Wall Street regulieren - oder sind dies nur vorgetäuschte Manöver gegenüber einer Branche, von deren Millionenspenden auch seine Partei profitiert hat? Und meint er seinen Kampf gegen die Aus- und Weiterverbreitung von Atomwaffen ernst - oder hat er, wie Aussagen von Kabinettsmitgliedern andeuten, insgeheim schon mit Blick auf Iran und Nordkorea resigniert?

Barack Obama gilt als Mr. Cool, den so schnell nichts aus der Ruhe bringen kann. Das ist für einen erfolgsorientierten Politiker ein wichtiger Charakterzug. Doch vor allem für seine Wähler dürfte in diesem Jahr wichtig sein, dass er wieder zu jener Person wird, die man aus dem Wahlkampf noch in Erinnerung hat: Mr. Klartext.

nachrichten.red@volksfreund.de

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