Partei ohne Bindestrich

Die Grünen stecken in einer wenig komfortablen Situation: Ihnen fehlt eine klare Machtperspektive, weil Lafontaines Linke das Parteiensystem aufmischt und die klassische politische Farbenlehre zu verschwimmen droht.

Deshalb wollen die Ökos erst einmal grün pur sein und "nicht Bindestrich-Grün". Was das bedeuten kann, hat sich schon 2007 gezeigt. Beim Göttinger Parteitag wäre die Afghanistan-Politik Joschka Fischers beinah vollends entsorgt worden. Und beim Nürnberger Parteitag verabschiedete die Basis mal eben eine 60 Milliarden Euro teure Grundsicherung. Auch das Erfurter Delegiertentreffen war nicht frei von Wunsch und Wolke. Dass der ausgewiesene Wirtschaftsexperte Fritz Kuhn bei der Wahl zum Parteirat scheiterte, zeigt, wie dünn die Luft für lupenreine Realos bei den Grünen inzwischen geworden ist. Auch gelang den Führungsleuten nur mit Mühe ein Formulierungskompromiss, der die (unrealistische) Gewissheit, den Strom in zwei Jahrzehnten komplett aus erneuerbaren Energien zu gewinnen, etwas abschwächte. Verständlich zwar, dass sich die Grünen bei ihrem Urthema, der Ökologie, von keinem übertreffen lassen wollen. Mittlerweile haben schließlich alle Parteien den Umweltschutz entdeckt. Wenn ambitionierte Forderungen jedoch in Fantasterei umschlagen, wird es für die Grünen gefährlich. Der Wähler nimmt sie nicht mehr ernst. Und wenn es, egal ob mit Rot, Gelb oder Schwarz, doch zum Regieren kommt, muss die grüne Basis wieder runter von den Bäumen, was die Partei schon mehrfach in eine politische Zerreißprobe getrieben hat. Siehe Afghanistan oder Atomausstieg. Reinhard Bütikofer hat es gut verstanden, die Partei in der Balance zwischen radikalen Ideen und pragmatischer Politik zu halten. Ob sein Nachfolger Cem Özdemir die Kunst des Vermittelns und Integrierens beherrscht, muss sich erst erweisen. Als strategischer Kopf und Visionär ist er noch nicht aufgefallen. Dafür hat der Deutschtürke eine rhetorische Begabung. Und Talkshow-Tauglichkeit ist für das bevorstehende Superwahljahr schon eine ganze Menge. Die Grünen werden sie dringend brauchen. Seit der Abdankung ihres Übervaters Joschka Fischer fehlt der Partei ein profiliertes Gesicht. Ex-Umweltminister Jürgen Trittin ist einem breiteren Publikum wenig vermittelbar. Wenn sich der in Erfurt beschworene Dreiklang aus ökologischer Verantwortung, sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlichen Impulsen nicht mit einer unverwechselbaren grünen Persönlichkeit verbindet, werden die Grünen im Wahlkampfmarathon 2009 auf der Strecke bleiben. Es kann der Partei nicht allein darum gehen, möglichst viele Atomkraftgegner nach Gorleben zu karren. Sie muss noch mehr Menschen dazu bringen, grün zu wählen. Das wird schwer genug.

nachrichten.red@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort