Patient muss im Mittelpunkt stehen

Es hat schon was Beunruhigendes, wenn selbst Ärzte sagen, nicht jede vorgenommene Operation sei unbedingt notwendig. Normalerweise kennt man eine solche Kritik eher von den Krankenkassen, die aus verständlichen Gründen bei den Ausgaben bremsen wollen.

Da wird öfter mal der Sinn von Operationen, Untersuchungen oder Behandlungen hinterfragt. Wenn nun offenbar immer mehr Mediziner, darunter selbst bundesweit renommierte Operateure, warnen, es werde zu viel "geschnitten" und zu unkritisch Arznei verordnet, dann ist das ein Alarmsignal. Ein Symptom für ein krankes Gesundheitssystem, in dem es offenbar zunehmend darum geht, hochmoderne, teurere Untersuchungsgeräte und High-Tech-Operationssäle so gut wie möglich auszulasten. Ein System, in dem die Versprechungen von Pharmaherstellern und Produzenten zu künstlichen Gelenken offenbar mehr zählen als unabhängige Studien und medizinische Notwendigkeiten. Ein System, in dem OP und Gerätemedizin einem Arzt mehr Geld bringen als ausführliche Patientengespräche und langwierige Behandlungen. Damit werden, auch von den Kassen, falsche Anreize geschaffen. Solange die Krankenkassen lieber die Beseitigung von Krankheitssymptomen statt die Heilung bezahlen, wird sich daran auch nicht wirklich etwas ändern.
Das Erschreckende dabei: Die Patienten sind dem System mehr oder weniger ausgeliefert. Natürlich können sie Arztentscheidungen hinterfragen. Auch haben sie das Recht, die Meinung eines anderen Mediziners einzuholen. Doch wer macht das schon wirklich?
In der Regel vertraut der Patient dem Arzt, glaubt ihm, wenn der sagt, das neue, gerade erst auf den Markt gekommene Medikament sei viel besser als das alte. Auch dürften die wenigsten Patienten an der empfohlenen Untersuchung zweifeln. Und wenn der Arzt sagt, eine OP sei notwendig, dann wird vermutlich kaum ein Patient anderer Meinung sein. Das zeigt, wie groß die Verantwortung der Mediziner ist. Der Patient muss wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt werden, nicht das Honorar, nicht die Heilsversprechen der Pharmaindustrie dürfen ausschlaggebend sein für Behandlungen. Daher ist es begrüßenswert, dass sich kritische Mediziner gegen das System wenden und die bisherige Praxis hinterfragen. Sie sind keine Nestbeschmutzer, wie sie von einigen ihrer Kollegen bezeichnet werden. Sie kämpfen für eine unabhängige, patientenorientierte Medizin. Das verdient Respekt.
b.wientjes@volksfreund.de

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