Regierungs-Modell "Wünsch dir was"

Das erste feierliche Schaulaufen der großen Koalition ist vorbei. Fast eine Woche lang haben die Kanzlerin und ihre Minister dem Volk erläutert, was die Regierung vorhat, in Regierungserklärungen, Pressekonferenzen, Kabinettsbeschlüssen.

Viereinhalb Monate nach der Wahl und nach einem gefühlten Jahr wahlkampfbedingten Stillstands kann wieder ernsthaft regiert werden - jedes Unternehmen, das sich eine ähnlich lange Auszeit gönnen würde, wäre längst vom Markt verschwunden.
Nimmt man die Hauptakteure der Woche, also Merkel, Gabriel, Nahles und Dobrindt zusammen, dann wird das Strickmuster dieser Regierung deutlich: Jeder darf seine Klientel bedienen, bezahlt wird später. Mutige Zukunfts-Entwürfe wie die Energiewende werden verwässert, sobald es unangenehm zu werden droht. Themen, die allzuviel Konfliktpotenzial bergen, wie Demografie, Überalterung der Gesellschaft, Bürokratie, Normen-Wahn oder Verwaltungsstrukturen, entschwinden im Nirwana oder werden in Kommissionen entsorgt.
Die letzte große Koalition Merkel/Müntefering startete damit, dass sie die Mehrwertsteuer entgegen aller Wahlkampf-Versprechen um drei Prozentpunkte erhöhte.
Derart offentsichtlichen Wählerbetrug hat man diesmal vermieden, aber er war auch gar nicht nötig. Weil man gar nicht erst versucht hat, die zu verteilenden Wohltaten irgendwo ernsthaft und solide gegenzufinanzieren. Das ist eine subtilere Form des Verschaukelns - mehr aber nicht.
Wie das Regierungs-Modell "Wünsch dir was" funktioniert, zeigt am schönsten das Thema Rente. Die SPD wollte eine frühere Verrentung und diverse andere soziale Wohltaten ermöglichen, dafür aber die Steuern erhöhen. Die Mütterrente hielten die Sozis für völligen Unfug, selbige aber wollte die CSU, dafür wiederum kein früheres Renten-Eintrittsalter. Die CDU wollte das eine mehr und das andere weniger, keinesfalls aber eine Steuererhöhung. Jetzt hat jeder, was er will und was seine Wähler freut - und wenn die nächste Generation den Deckel bezahlen muss, ist von den Entscheidern längst keiner mehr im Amt.
Wollte man ein Motto für diese Woche in der Bundeshauptstadt finden, ich hätte eins im Angebot: "Willkommen im Lobby-Land Deutschland." Wer laut genug rumort oder über viele Stimmen verfügt, wird bedient. Jedem Tierchen sein Pläsierchen, denkt die Kanzlerin. Das Problem ist nur: eine Summe von Partikularinteressen ergibt noch kein funktionierendes Gemeinwesen.
Es geht nicht um Horrorszenarien und Zukunftspessimismus. Die Probleme dieser Gesellschaft sind lösbar. Aber nur, wenn man sie nicht ignoriert.
d.lintz@volksfreund.de

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