Risse im Fundament

So schnell stößt man eine Angela Merkel nicht vom Podest. Auch wenn sich im Moment die Opposition und die SPD mächtig dafür ins Zeug legen.

Die Kanzlerin ist eine Meisterin des Abwartens und des Taktierens. Merkel wird nun geduldig beobachten, ob aus dem für sie noch überschaubaren Kollateralschaden der BND-Affäre ein größerer Rutsch nach unten in den Umfragen entsteht. Oder ob der Wähler schnell vergisst. So einfach kann Merkel\'sche Politik sein
Einen Plan B zieht sie nur dann hervor, wenn es unvermeidlich ist. Siehe Atomausstieg. Aus ihrer Sicht ist dafür aber die Zeit noch nicht reif.
Leugnen lässt sich freilich nicht, dass das Fundament, auf dem die Kanzlerin steht, Risse bekommen hat; es bröckelt an der einen oder anderen Stelle. Die BND-Affäre hat Merkel ins Zwielicht gerückt. Und je mehr Details des Vertuschens und des Täuschens in Merkels Regierungszentrale ans Tageslicht kommen, desto stärker wird der Skandal auch bei den Bürgern verfangen. Das Desinteresse wird weichen. Dann werden dem einen Puzzleteil womöglich andere hinzugefügt:
Wie war das noch bei der Maut? Mit ihr werde es keine Maut geben, hatte Merkel im Wahlkampf versprochen. Jetzt ist die Gebühr beschlossene Sache.
Und wie war das noch bei der Kalten Progression? Sie wolle diese Ungerechtigkeit endlich abschaffen, tönte die Kanzlerin seinerzeit. Nach der Wahl war davon keine Rede mehr. Jetzt kommt der Abbau der Kalten Progression als steuerliches Minimalprogramm, nach Kassenlage. Reformeifer ist Merkel fremd.
Der Skandal könnte deshalb der Auslöser, der erste Dominostein dafür sein, dass der Regierungschefin allmählich das abhanden kommt, was bisher ihr politisches Pfund gewesen ist: das Vertrauen, das die Bürger parteiübergreifend in sie setzen. Merkel wird nicht gemocht wegen ihrer Politik oder ihrer politischen Visionen. Die gibt es nicht. Die Menschen schätzen ihre Unaufgeregtheit. Sie haben das Gefühl, mit ihr an der Spitze unbesorgt, vor allem unbehelligt durch jede Krise zu kommen. Merkel ist das Ruhekissen der Nation. Sie tut alles dafür, dass dieser Eindruck auch so bleibt und sich nicht durch hastige Politik verändert.
Ausgerechnet ihr Bündnispartner SPD arbeitet jetzt tatkräftig daran, dass sich die Stimmung dreht. Allen voran Parteichef Sigmar Gabriel. Ob es ihm und der SPD nutzen wird, die Kanzlerin so in die Mitte des Skandals gerückt zu haben, muss gleichwohl bezweifelt werden. Schwindendes Vertrauen in Merkel heißt nicht zugleich wachsendes Vertrauen in Gabriel. Oder in die SPD insgesamt. Hinterlistigkeit schätzt auch der Wähler nicht. Das wird Merkel nur darin bestärken, weiter auf Zeit zu spielen. Wie immer. Bis dies irgendwann dann doch nicht mehr genügt.
nachrichten.red@volksfreund.de

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