Ritt auf der Rasierklinge

Sie sei "gut beschäftigt", hat Angela Merkel kürzlich im Fernsehen gesagt. Da hat die Bundeskanzlerin doch ziemlich untertrieben.

Merkels Kampf gegen die Euro- und die damit eng verbundene Koalitionskrise gleicht im Moment einem Ritt auf der Rasierklinge. Verfehlt sie heute bei der Bundestagsabstimmung über den erweiterten Rettungsschirm EFSF die eigene Mehrheit, dann sind Zweifel berechtigt, ob Merkel die Koalition noch führen kann. Vor allem aber: Ob sich die Koalition von ihr noch führen lässt.
Von der Kanzlermehrheit, also von 311 schwarz-gelben Stimmen der insgesamt 620 Abgeordneten, redet das Merkel-Lager vorsichtshalber schon nicht mehr. Es ist gleichwohl erstaunlich, mit welchem Langmut die Kanzlerin in diesen Tagen agiert - entweder ist sie sich ihrer Sache absolut sicher, weil die überzeugten Neinsager in den Regierungsfraktionen den vielen Zweiflern keine einleuchtende Alternative zu Merkels Eurokurs bieten können. Oder aber sie ist inzwischen von derselben Lethargie erfasst wie ihre gesamte Koalition.
Wie dem auch sei, beides wirft die Frage auf, inwieweit sich die größte europäische Volkswirtschaft eine Regierung leisten kann, die in der schlimmsten Währungskrise kaum in der Lage ist, eine gemeinsame Grundlinie nach außen zu vertreten. Merkel befindet sich daher in einer Zwickmühle: Selbst wenn sie im Bundestag eine eigene Mehrheit hinter sich versammeln kann, bleibt ihr Bündnis eines in extremer Not. Das Misstrauen untereinander ist mittlerweile so groß wie in einer zerrütteten Partnerschaft. Wegen der Euro-Rettung, aber auch weil sich die Koalition in den vergangenen zwei Jahren derart politisch zerfleddert hat, dass sie nicht einmal mehr in der Lage ist, tatsächlich vorhandene Erfolge auch als solche wahrnehmbar zu vertreten. Längst gehen CDU, CSU und Liberale ihre eigenen Wege. Dass bei dieser Lage über ein Ende der Koalition diskutiert wird, ist nur eine logische Konsequenz.
Doch es gibt einen Ausweg: Angela Merkel sollte sich an das Jahr 2008 erinnern. In der Finanzkrise hatte die Kanzlerin eine Richtung, ein Ziel, das sie offensiv vertrat: Sie wollte Deutschland besser aus der Krise führen, als es hineingerutscht war. Merkel und der damaligen Koalition ist dies gelungen. Die Rettung des Euros kann nur ähnlich funktionieren - mit einer genauso klaren Botschaft der Kanzlerin an die Menschen und in die eigene Koalition hinein. Sie gibt es bisher nicht. Oder sie wurde vom Streit überlagert. Hier liegt Merkels Chance, politisch doch noch zu retten, was nur schwer zu retten ist. Die Grundvorsaussetzung dafür ist: eine eigene Mehrheit.
nachrichten.red@volksfreund.de

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