Schinken fürs Regal

Nach Eva Herman nun also Thilo Sarrazin. Wenn man es heute endlich in der Hand halten und dann lesen darf, dieses Buch mit seinen 464 Seiten, dessen erste Auszüge vorab schon die Republik in Wallung versetzt haben, wird Folgendes geschehen: Nach einiger Zeit wird sich beim Leser die große Ermüdung breit machen angesichts der ausufernden Schwafelei.

Dann wird sich das Buch des Thilo Sarrazin auf das reduzieren, was es ist: Ein Schinken fürs Regal, der neben die Ergüsse der Ex-Tagesschau-Frau Herman gestellt gehört. So läuft es doch immer, wenn ein Buch vermeintlich politisch brisant und verändernd sein soll: Die PR-Maschinerie platziert dann besonders provokante Sätze in den Medien, darüber hinaus aber haben solche Werke meist kaum etwas Voranbringendes zu bieten. Wer Sarrazin kennt, der weiß, dass es so kommen wird. Das soll seine kruden Thesen zu Muslimen und jüdischen Mitbürgern keineswegs entschuldigen oder sie gar bagatellisieren. Aber es ist schon bizarr, mit wie viel Hysterie und Gehör ein gelangweilter Bundesbänker von allen Seiten bedacht wird, von dem man genau weiß, dass er in den vergangenen Jahren die Provokation zur eigenen politischen Maxime erhoben hat. Viel mehr hatte Sarrazin ja nicht zu bieten.

Deswegen: Rechts liegen lassen. Und wenn das eben nicht gänzlich möglich ist, dann zumindest Gegenfragen stellen. Zum Beispiel die, warum Sarrazin in seiner Zeit als Politiker und Senator nicht für Verbesserungen bei der Integration und der Bildung von Einwanderern gesorgt hat. Gerade in Berlin wäre dies dringend notwendig gewesen. Man könnte zudem auch mal jene fragen, die sich derzeit besonders laut über ihren SPD-Parteifreund ereifern, warum sie ihn überhaupt zum Bundesbänker gemacht haben. Obwohl doch klar gewesen ist, dass der Mann einer tickenden Verbalbombe gleichkommt. Soll heißen: Es ist schon ein Skandal, dass solche Posten nach Proporz an verdiente Parteikollegen vergeben werden - offenbar ohne Rücksicht auf Qualifizierung oder charakterliche Eignung.

Nein, jeder weiß doch, dass die Integrationspolitik der letzten Jahrzehnte voller Versäumnisse ist. Dafür braucht man Sarrazins absonderliches Gut-Böse-Schema nicht. Die Politik hat stets ignoriert, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist; die Folgen davon sind in jeder großen Stadt, an fast jeder Schule inzwischen zu begutachten. Einwanderer haben im Gegenzug oft ihren eigenen Beitrag zur Inte gration vermissen lassen, und viel zu selten ist darauf gedrängt worden. Insofern kann es doch nicht darum gehen, wer blöder oder unwilliger ist, sondern nur noch darum, wie sich die offenbar immer größer werdenden Probleme im Miteinander noch lösen lassen. Aber da ist die Politik leider nicht anders als Sarrazin: Sie weiß es auch nicht. Und genau das ist das Fatale.

nachrichten.red@volksfreund.de

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