Späh-Affäre im Wahlkampfmodus

Für Otto Normalverbraucher ist die NSA-Späh-Affäre mit all ihren Fachbegriffen schon unverständlich genug. Prism, XKeyscore, Tempora.

Wer versteht das schon? Zugespitzt wird die Verwirrung noch durch den Umstand, dass diejenigen, die die Affäre in Deutschland aufzuklären versuchen, die Parteien und die Medien, alle schon im Wahlkampfmodus sind. Und der bestimmt einen Großteil der Fragen, die derzeit öffentlich und in der parlamentarischen Kontrollkommission gestellt werden. Es geht sehr stark um parteipolitische Verantwortung und um Personen.
Von wirklichem Belang bei dieser Art von Rückwärtsbetrachtung sind nur zwei Punkte: Haben die Amerikaner die Kommunikation Deutscher nicht nur auf amerikanischem Boden oder im Atlantik, sondern direkt in Deutschland abgeschöpft? Das ist nicht erwiesen, aber wenn es stimmte, wäre das ein Angriff auf die staatliche Souveränität, der sofort beendet werden muss. Und zweitens: Haben deutsche staatliche Stellen, vom BND bis zum Kanzleramt, von einer solchen Praxis gewusst und sie toleriert? Das wird verneint. Es wäre auch ein klarer Rechtsbruch und würde Rücktritte zwingend machen.
Allerdings ist schlecht vorstellbar, dass etwa Ronald Pofalla oder Hans-Peter Friedrich sich täglich die Schenkel klopfen über Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weil die glaubt, sie habe die Vorratsdatenspeicherung verhindert, während sie mit Hilfe der NSA heimlich längst praktiziert wird. Wahrscheinlicher ist da schon, dass man bei den deutschen Sicherheitsdiensten lieber nicht so genau wissen wollte, woher die Amerikaner ihre immer so hilfreichen Hinweise auf Sauerland-Gruppe und andere Terrorverdächtige hatten.
Je mehr aus Wahlkampfgründen nur in die personelle Richtung gebohrt wird, desto mehr gerät eine andere Ebene außer acht: Die Bürger, die eigentlich Betroffenen. Übrigens auch die Firmen. Sie fragen sich, was sie schützen kann, was sie selbst tun können und wer ihnen hilft. Sie haben ein wachsendes Gefühl der Ohnmacht gegenüber allmächtigen, heimlichen Institutionen, die im Namen höherer Ziele handeln und sich vor niemandem rechtfertigen. Ihre eigentliche Frage lautet: Wie behalten wir Bürger die Hoheit und Souveränität über das, was wir schreiben, sprechen, denken? Letztlich über uns selbst. Angela Merkel hat ein zaghaftes Acht-Punkte-Programm dazu vorgelegt, das kaum mehr ist als ein Einstieg. Die anderen Parteien sollten folgen, vielleicht mit radikaleren Vorschlägen zum Datenschutz und zur Kontrolle der Geheimdienste. Jedenfalls ist das das weit lohnendere Wahlkampfthema als die Zukunft von Ronald Pofalla.
nachrichten.red@volksfreund.de

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