Stresstest auch für die Politik

Wer den Katalog der Sicherheitsanforderungen sieht, nach dem jetzt die 17 deutschen Kernkraftwerke überprüft werden sollen, fragt sich: Was hat man eigentlich in den vergangenen 50 Jahren geprüft, seit Atommeiler in Deutschland laufen? Haben wir auf einem Pulverfass gelebt?

Trotzdem ist es gut, dass dieser "Stresstest" vorgenommen wird. Sofern er, und da kann man zunächst nur dem Umweltminister Norbert Röttgen vertrauen, hart und entschlossen durchgezogen wird, ohne Einflussnahme der Energiekonzerne. Denn die Anlagen werden, egal wie die Laufzeitdebatte ausgeht, noch viele Jahre laufen. Und seit Fukushima wissen wir: Das sind nicht einfach irgendwelche Industrieanlagen. Das sind potentielle Monster.

Die Betrachtung der Kernkraft durch die mit der Sicherheit beauftragten Behörden war in den Anfangsjahren naiv, später wohlwollend. Natürlich achtete man auf höchste Sicherheitsstandards. Aber nach damaligen Begriffen. Was zu teuer war, verbannte man unter die Rubrik Restrisiko, verniedlichte man mit Unwahrscheinlichkeiten. Flugzeugabstürze direkt auf ein Kraftwerk zum Beispiel sind und waren ein äußerst unwahrscheinliches Ereignis. Entsprechend sind die meisten deutschen Meiler dagegen nicht gewappnet. Aber dass Terroristen eine Maschine gezielt auf eine solche Anlage lenken, das entzieht sich jeder Wahrscheinlichkeitsrechnung, weil es mit Absicht geschieht. Japan hat gezeigt: Das Einzige, was absolut unwahrscheinlich ist, ist, dass das Unwahrscheinliche niemals eintritt. Alle 25 Jahre müsse es, haben Experten errechnet, bei der derzeitigen Zahl der Atomkraftwerke auf der Welt irgendwo einen Supergau geben. 1986 Tschernobyl, 2011 Fukushima - die Prognose ist erschreckend genau..

Erdbeben plus Tsunami plus Ausfall der Notstromaggregate plus Wasserstoffexplosion, so geschah es in Japan. Auch hierzulande sind viele Kombinationen für einen Gau denkbar. Nun müssen sie gedacht werden. Die Techniker können nur beschreiben, wo die Lücken in einem solchen Fall sind und wie man sie stopfen sollte. Das wird von einfachen Nachrüstungen mit Dieselaggregaten oder Handpumpen bis zum Bau von Betonhüllen gegen Flugzeugabstürze reichen. Spätestens wenn der Sicherheitsbericht Mitte Mai vorliegt, beginnt die politische Diskussion. Wie viel ist uns - und auch den Energiekonzernen - die notwendige Nachrüstung wert? Wie viel Restrisiko sind wir bereit wie lange zu tragen? Wo ist der Grenznutzen der Atomkraft für unsere Gesellschaft? Es sind die alten Fragen, die nach Fukushima nun neu beantwortet werden müssen - und das nicht nur von Technikern.

nachrichten.red@volksfreund.de

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