Meinung Überraschend anders

Berlin · Angela Merkels Regierungserklärung im Bundestag zeigt: Die Kanzlerin willes noch einmal wissen.

Meinung: Überraschend anders
Foto: k r o h n f o t o .de

Jedem Anfang wohnt sprichwörtlich ein Zauber inne. Doch es gibt Ausnahmen. Den Zauber des Anfangs mit dem Start der nun schon dritten großen Koalition seit der Jahrtausendwende in Verbindung zu bringen, dürfte wohl nur den wenigsten in den Sinn kommen. Insofern lag die Messlatte für Angela Merkels erste Regierungserklärung als alte und neue Bundeskanzlerin auch vergleichsweise niedrig.

Es freut ja schon, dass Deutschland fast ein halbes Jahr nach der letzten Bundestagswahl überhaupt wieder eine handlungsfähige Regierung hat. Wer wollte da auch noch einen politischen Aufbruch erwarten. Vor diesem Hintergrund wusste Merkel dann allerdings doch positiv zu überraschen.

Es gibt eine Bemerkung, die die Kanzlerin wohl am liebsten ungehört machen würde, wenn sie es denn könnte: „Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten“, hatte sie noch kurz nach dem deutlichen Stimmenverlust für ihre Union bei der Bundestagswahl erklärt. Und damit für viel Kopfschütteln in den eigenen Reihen gesorgt.

Am Mittwoch erlebte der Bundestag eine ganz andere Angela Merkel. „Ich habe verstanden“, hätte man ihren gut einstündigen Redeauftritt überschreiben können. Bemerkenswert vor allem: Merkel nahm sich mit für ihre Verhältnisse ungewöhnlich viel Empathie der Sorgen und Nöte breiter Bevölkerungsschichten an. Angefangen von den Defiziten im Pflegebereich bis zum schwierigen Leben in vielen ländlichen Regionen, die von der gewohnten Infrastruktur immer stärker abgehängt zu werden drohen.

Dass Merkel die Wirklichkeit in diesem Land nicht mehr wahrhaben will, kann man ihr nach dieser Rede jedenfalls nicht vorwerfen. Vieles deutet darauf hin, dass Merkel im 13. Jahr ihrer Kanzlerschaft kein bloßer Sachwalter der Koalitionsvereinbarung sein will. Sie will in ihrem deutlich verjüngten Kabinett nicht alt aussehen. Sie will es noch einmal wissen.

Nun macht eine gelungene Rede sicher noch keinen Aufbruch. Merkel muss natürlich noch beweisen, wie ernst es ihr ist – auch im Clinch mit den Widersachern innerhalb der Union. Und dann ist da noch die SPD: Die hält im Augenblick zwar still. Aber ihr Zwang zur Profilierung dürfte noch für viel Unruhe sorgen. Das Regieren für Merkel ist auf jeden Fall schwerer geworden. Erfahrungsgemäß war die Kanzlerin allerdings immer dann am stärksten, wenn die Herausforderungen besonders groß waren. Man denke nur an die internationale Finanzkrise. Vielleicht stellt sich ja doch noch ein gewisser Zauber ein.

nachrichten.red@volksfreund.de

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