Umverteilung zu Lasten der Kleinen

Man könne, so formulierte einst der Berliner Künstler Heinrich Zille, einen Menschen mit einer Wohnung genau so erschlagen wie mit einer Axt. Eine bezahlbare, funktionsgerechte und nicht mit Diskriminierung verbundene Unterkunft ist ein elementares Menschenrecht.


Es erschreckt schon, dass man in einem der reichsten Länder der Welt einhundert Jahre nach Zilles Zitat wieder über Wohnungsnot, Verdrängungsprozesse und Armenviertel reden muss. Auch wenn die Verwandlung von einst bezahlbarem Wohnraum zu teuren Mietobjekten via Modernisierung und Umfeld-Pflege heute modern "Gentrifizierung" heißt: Das Spiel ist immer noch das gleiche. Menschen werden marginalisiert und verdrängt, damit andere aus ihrem Wohn- und Grundstückseigentum größeres Kapital schlagen können. Und das ist längst kein Phänomen der großen Metropolen mehr, sondern auch in Mittelstädten wie Trier unübersehbar.
Dass diese Entwicklung derzeit dramatisch an Fahrt gewinnt, hat mit mehreren Faktoren zu tun. Der Bund hat, liberal bis ins Mark, auf rechtliche Stellschrauben verzichtet und Steuerungsmechanismen wie die Städtebauförderung vor allem im sozialen Bereich zurückgefahren. Die Kommunen mussten aufgrund ihrer Finanznot ihr Wohneigentum privatisieren und verloren auch sonst weitgehend den Einfluss auf dem Wohnungs-Sektor.
Parallel wächst aber mit der Veränderung der Familienstrukturen und den Anforderungen der modernen Arbeitsgesellschaft der Bedarf an Wohnraum zumindest in Ballungs- und Boom-Gebieten permanent weiter. Das wird sich auch auf absehbare Zeit nicht ändern.
Leidtragende sind dabei vor allem Menschen mit geringem Einkommen oder hohem Platzbedarf. Großfamilien, Alleinerziehende, Kleinrentner. Jede Verteuerung des Wohnraums geht bei ihnen direkt zulasten der Ressourcen, die ihnen zum Leben bleiben. Wenn Wohnen teuer ist, bedeutet das automatisch eine Umverteilung zugunsten derer, die mehr besitzen.
Das ist kein Klassenkampf, sondern bittere Realität. Und von der Politik darf erwartet werden, dass sie Werkzeuge entwickelt, mit denen man Einfluss nehmen kann auf diese Fehlentwicklung.
Was herauskommt, wenn man alles dem freien Spiel der Markt-Kräfte überlässt, erleben wir gerade.
d.lintz@volksfreund.de

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