Vertane Chance

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann hat recht, wenn er den Hirtenbrief des Papstes als einfühlsam, klar und spirituell bezeichnet, wobei - aus Sicht der Opfer - insbesondere die beiden ersten Charakterisierungen von Bedeutung sein dürften.

Bemerkenswert ist, mit welcher Deutlichkeit Benedikt XVI. das Versagen seiner eigenen Kirche und deren Bischöfe, Ordensobere und Priester thematisiert. In dieser schonungslosen Offenheit hatten dieses Schuldeingeständnis wohl nur wenige erwartet.

Benedikt XVI. hat bei der Veröffentlichung seines an die irischen Katholiken gerichteten Hirtenworts aber auch eine große Chance vertan. Dass ausgerechnet ein deutscher Papst sich mit keinem einzigen Wort an die deutschen Opfer, Gläubigen und Täter wendet, obwohl das Missbrauchsthema in seinem Heimatland seit Wochen die Menschen beschäftigt, ist sehr enttäuschend und entlarvend: Trotz des erst wenige Tage zurückliegenden Besuchs des Bischofskonferenz-Vorsitzenden Robert Zollitsch scheinen sich die Herren im Vatikan der Brisanz des Themas nicht bewusst zu sein. Dass Joseph Ratzinger nicht in der Lage war, auch nur einen einzigen Satz der Entschuldigung speziell an die deutschen Missbrauchsopfer zu sagen, wird dazu führen, dass sich noch mehr Katholiken von diesem Papst und dieser Kirche abwenden. Benedikt XVI. überließ es den deutschen Bischöfen Zollitsch und Ackermann, in den Hirtenbrief hineinzuinterpretieren, dass dieser auch auf die Missbrauchsvorgänge in Deutschland übertragbar sei. Mag sein, dass sie damit recht haben, aber es wird die meisten Menschen in Benedikts Heimatland nicht überzeugen. "Warum schweigt der Papst?", werden sie sich fragen.

Für den katholischen Missbrauchsbeauftragten Stephan Ackermann wird der Job durch die vertane Chance des Papstes noch schwieriger als er es ohnehin schon ist.

Aber nicht nur der Vatikan macht dem Trierer Bischof derzeit das Leben schwer, sondern auch sein nach München abgewanderter Vorgänger Reinhard Marx. Dass die bayerischen Bischöfe in der vergangenen Woche die kirchlichen Missbrauchs-Leitlinien im Alleingang deutlich verschärft haben, kann Ackermann unmöglich gefallen haben; zumal der Sonderbeauftragte die Leitlinien bei seinem Amtsantritt vor einem Monat noch weitgehend verteidigt hatte. Dank Marx & Co. sitzt der Trierer Bischof jetzt in der Zwickmühle. Will Stephan Ackermann nicht als Bremser dastehen, müssen er und auch die anderen deutschen Bischöfe Beschlüsse des heimlichen Sonderbeauftragten Reinhard Marx übernehmen.

r.seydewitz@volksfreund.de

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