Visite mit zwei Seiten

Eines muss man SPD-Chef Sigmar Gabriel lassen: Politischen Instinkt hat er. Überraschend bei einer Diskussion mit Pegida-Anhängern aufzutauchen, kommt einem kleinen Coup gleich.

Die einen reden ständig über den notwendigen Dialog, Gabriel führt ihn. Chapeau. Dass die hochrangige Politik ihnen nicht zuhört, können diese Menschen in Dresden jedenfalls nicht mehr behaupten.
Das ist aber nur die eine Seite der Medaille, die positive. Auf der anderen Seite muss man fragen, ob es richtig ist, jene aufzuwerten, bei denen inhaltlich vieles durcheinandergeht; die sich oftmals ihre Wahrheit fern der Realität zimmern und vor fremdenfeindlichen Sprüchen nicht zurückschrecken.
Man kann deshalb Verständnis für die Kritiker Gabriels aufbringen, zumal man weiß, dass der SPD-Chef zu sprunghaften Aktionen aus dem Bauch heraus neigt. Kürzlich brachte er alle Parteien unter Zugzwang, als er ohne Absprache eine Solidaritäts-Demonstration wegen der Anschläge in Paris vorschlug. Das kam nicht überall gut an.
Aber wahr ist auch, dass es eben keinen anderen Weg gibt als das Gespräch, um krude Vorstellungen aus den Köpfen von Menschen zu bekommen. Gewiss, eine Garantie dafür gibt es nicht, dazu bedarf es mehr als einer Gabriel-Visite. Und bei Pegida gibt es jede Menge Unbelehrbare, bei denen Hopfen und Malz verloren ist. Vor allem dann, wenn auch noch Gewaltbereitschaft hinzukommt. Aber den Versuch ist es allemal wert, jene Anhänger zu erreichen, die "nur" Mitläufer sind aus politischem Frust. Abgesehen davon, ob der berechtigt ist oder nicht. Demokratie lebt nun mal vom Zuhören. So einfach ist das. Unabhängig von Pegida ist es leider so, dass Politikern das Zuhören zu oft schwerfällt, insbesondere, wenn sie im politischen Elfenbeinturm Berlins agieren.
Für die SPD ist die Gabriel-Aktion auf den ersten Blick keine gelungene. Die einen sind bereit zum Dialog, die anderen warnen lautstark davor. Hü und hott, so stehen die Genossen jetzt in der Öffentlichkeit da.
Auf den zweiten Blick kann es jedoch diesbezüglich keine von oben verordnete Linie geben. Jeder Politiker muss nach bestem Wissen und Gewissen selbst entscheiden, ob er das Gespräch mit Pegida-Anhängern suchen will oder nicht. Gabriel hat sich dafür entschieden, seine Generalsekretärin aus guten Gründen dagegen. Diese Debatte gibt es auch in der Union, sogar bei den Linken. Nur die Grünen sind offenkundig in ihrer Haltung einhellig. Sie wollen nichts mit den Protestlern zu tun haben wegen der rassistischen Töne bei den Demonstrationen. Das ist genauso nachvollziehbar und muss akzeptiert werden.
nachrichten.red@volksfreund.de

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