Wahlkampf im Wartezimmer

Kein Zweifel, auch unser Gesundheitssystem ächzt unter den Lasten der Wirtschaftskrise. Wenn Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Nation jetzt darauf einstimmt, dass die Kosten in absehbarer Zeit nur durch höhere Steuerzuschüsse oder einen Beitragsschub geschultert werden können, dann ist die Situation wirklich dramatisch.

Bis eben noch wollte die SPD-Politikerin von solchen Szenarien nichts wissen. Wenn alte Gewissheiten jedoch gleich reihenweise den Bach hinuntergehen, dann kann auch die Hiobsbotschaft von der Gesundheitsfront nicht sonderlich erstaunen.

Nur die Ärzte machen scheinbar ungerührt weiter wie bisher. Aus Protest gegen die Honorarreform bleiben diese Woche wieder viele Praxen geschlossen. Gleichzeitig warnen die Mediziner vor den Gefahren der Rationierung und einer flächendeckenden Unterversorgung von gesetzlich Versicherten. Solche Kassandra-Rufe haben durchaus Methode. In vier Monaten wird ein neuer Bundestag gewählt. Und ein Wahlkampf im Wartezimmer ist noch jeder Regierung ein Graus gewesen. Umso stärker sei daran erinnert, dass die Ärzteschaft damit auch vom eigenen Versagen ablenken will.

Die Honorar-Reform in ihrer jetzigen Gestalt war eine ausdrückliche Forderung ihrer Verbände. Immerhin drei Milliarden Euro zusätzlich kamen dadurch in den ärztlichen Honorartopf. Aber der Berufsstand jammert, als sei seine Verelendung ausgebrochen. Es gibt Ungerechtigkeiten bei der Verteilung des Honorarkuchens. Doch um diesen Missstand müssen sich die Kassenärztlichen Vereinigungen kümmern. So lange dieses Problem nicht geklärt ist, wirken alle Sorgen der Ärztelobby um das Wohl der Patienten zweifelhaft.

nachrichten.red@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort