Leitartikel Neue Corona-Regeln: Immer härter, immer weniger – immer die anderen

Meinung · Weniger Kontakte, Einschränkung der Bewegungsfreiheit in Corona-Hotspots, Verlängerung des Lockdowns – die Rückkehr zur Normalität ist in weiter Ferne. Dass die Politikerinnen und Politiker zur Begründung auf andere zeigen, eigene Fehler aber nicht ansprechen, setzt aufs Spiel, was derzeit so wichtig wäre: das Vertrauen in die Verhältnismäßigkeit des Handelns.

Warum die Politik bei Corona versagt - die Debatte über den Lockdown
Foto: TV/Friedemann Vetter

Abstand halten, Masken tragen, Arbeit im Home-Office, weniger Treffen mit anderen: Der Großteil der Deutschen war und ist bereit, diese Einschränkungen mitzutragen. Weil es einerseits um die Gesundheit aller geht und weil andererseits dahinter ebenso die Hoffnung besteht, dass möglichst bald wieder Normalität einkehrt. Von einer solchen Normalität und selbst von einer euphemistisch umschriebenen neuen Normalität sind wir seit Dienstag aber noch weiter entfernt.

Einerseits weil in Corona-Hotspots die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt werden soll. Bei mehr als 200 neuen Infektionen pro 100 000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen sollen sich die Menschen nur noch in einem Radius von 15 Kilometern bewegen dürfen. Ausnahmen gibt es für den Beruf, keine Ausnahme soll dagegen laut der Vorlage das Einkaufen sein. Spätestens hier stellt sich die Frage, welcher Großstädter sich dies ausgedacht hat. Natürlich: In Berlin ist es kein Problem, alles Notwendige in der Nähe zu finden. Auf dem Land kann die Fahrt zum größeren Lebensmittelmarkt aber doch etwas weiter sein.

Andererseits weil die Kontaktverbote sogar noch einmal verschärft werden. Bisher waren private Treffen auf den eigenen und einen weiteren Haushalt, jedoch maximal auf fünf Personen beschränkt. Nun soll es nur noch erlaubt sein, eine einzige Person zu treffen, die nicht zum Haushalt gehört. Ausnahmen für Kinder sind dabei übrigens nicht erwähnt. Sollte dies so umgesetzt werden, ist dies ein weiterer, noch massiverer Eingriff in die Freiheitsrechte. Ein Eingriff, der kaum kontrolliert werden kann und der sicherlich bald vor Gericht geprüft werden wird. Das Absurde dahinter: Begründet wird dies unter anderem damit, dass die derzeit abflachenden Zahlen zu Neuinfektionen möglicherweise nicht die Realität abbildeten. Was für ein Irrsinn: Schon vor diesem Treffen sollte klar gewesen sein, dass rund um die Feiertage weniger getestet wird. Auf die weiter verspäteten Meldungen aus Ämtern und Behörden einzugehen, lohnt sich schon fast nicht mehr. Damit haben sich die Verantwortlichen schlichtweg abgefunden.

Die Bilder aus Wintersport-Orten haben die Politikerinnen und Politiker aufschrecken lassen – ob schlittenfahrende Familien wirklich die Treiber der Pandemie sind, ist übrigens keineswegs sicher. Meine Vermutung: Dieses Mit-dem-Finger-auf-andere-zeigen soll von eigenen Fehlern ablenken. Offen gesagt: Wer im Frühjahr zu wenig Masken organisiert hatte, konnte noch auf Nachsicht hoffen. Aber wer danach viel zu spät auf verpflichtende Tests in Seniorenheimen setzte, dann bei den Impfungen Fehler machte – sowohl bei der Beschaffung auf Bundesebene als auch bei der Organisation auf Länderebene – und nun solch einschneidende Maßnahmen fast wie aus dem Nichts beschließt, setzt das Vertrauen aller aufs Spiel. Dass dies elf Monate nach Beginn der Pandemie wieder ohne Beschluss der Parlamente geschieht, trägt dazu ebenfalls seinen Teil bei.

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