Wenn weniger arbeiten nicht drin ist

Kaum jemand macht einen Zweitjob aus Jux und Dollerei. Es geht meistens darum, so viel Geld zu verdienen, dass nach den Ausgaben für Wohnung, Essen und Kleidung noch etwas übrigbleibt: für einen Urlaub, für Geschenke zu Weihnachten oder ein Notgroschen, falls mal die Waschmaschine oder das Auto kaputt geht.


Über diese Rücklagen verfügen viele Menschen in Deutschland nicht mehr - obwohl das Pro-Kopf-Einkommen durchschnittlich weiter angestiegen ist, wie der Volksfreund in dieser Woche berichtet hat - und obwohl die Vermögen ebenso gewachsen sind.
Insofern sind die Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), die eine Zunahme der Arbeitnehmer mit mehreren Beschäftigungsverhältnissen konstatieren, ein Beleg dafür, dass in Millionen Haushalten Deutschlands das Geld knapp ist.
Wie sich die Gesellschaft weiterentwickelt, ist jetzt schon abzuschätzen: Denn auch die Zahl nebenher jobbender Rentner ist inzwischen auf 660 000 gestiegen. Und diejenigen, die heute schon zusätzlich Geld brauchen, um als Erwerbstätige über die Runden zu kommen, dürften im Rentenalter ebenso Probleme haben, genügend Geld für den Lebensunterhalt aufzubringen.
Außerdem zahlen sie nicht so viel für die Rente ein, wie es notwendig wäre für einen auskömmlichen Lebensabend. Geschweige denn, dass sie es schaffen - wie von Politikern und Versicherern empfohlen - privat fürs Alter vorzusorgen.
Eine Umfrage der Meinungsforscher von Forsa aus dem vergangenen Jahr zeigt darüber hinaus, dass auch Selbstständige, darunter viele Akademiker, zwei oder noch mehr Jobs haben: Zusammen mit den Arbeitnehmern macht der Anteil derjenigen mit Nebeneinkünften demnach bereits 15 Prozent aus, darunter sind laut Forsa insbesondere Bürger mit einem Haushaltsnettoeinkommen unter 1000 Euro.
Das erinnert an Verhältnisse, wie sie im hoch verschuldeten Griechenland oder in den USA mit ihren niedrigeren Sozialstandards schon lange üblich sind. Dort unterrichtet die Hochschuldozentin am Abend noch Privatschüler, und der Marketingangestellte mixt abends noch in einer Bar die Drinks.
Gut ist daran am ehesten noch, dass der Arbeitsmarkt solche Lösungen hergibt. Das Schlechte: Bei zwei, drei oder vier Jobs bleiben den Betroffenen zu wenig Freizeit und zu wenige Möglichkeiten, diesem Kreislauf zu entkommen - durch Weiterbildung und Qualifizierung zum Beispiel. Das ändert sich für Nebenjobber bis ins hohe Alter nicht. Von Ruhestand kann dann nicht die Rede sein.
oht@volksfreund.de

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