Wir brauchen Europa!

Trier · Endlich herrscht Klarheit! Die Briten haben in einer demokratischen Wahl entschieden: raus aus der Europäischen Union. Das ist ihr gutes Recht.

 Damian Schwickerath : (Ve.)/TV-Foto: Friedemann Vetter

Damian Schwickerath : (Ve.)/TV-Foto: Friedemann Vetter

Foto: Friedemann Vetter

Aber wer in den Wald hineinruft, der muss auch das Echo vertragen können. Die Menschen auf der Insel werden diese Entscheidung mittel- und langfristig teuer bezahlen. Und nicht nur sie.
Der Brexit ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, warum dieses gemeinsame Europa in einem derart desolaten Zustand ist. Denn David Cameron hat das getan, was viele seiner Kollegen in anderen EU-Ländern immer wieder tun, wenn sie innenpolitisch oder in der eigenen Partei Probleme haben: Sie geben Europa die Schuld. Es war der britische Premier, der seine Kritiker in der eigenen Partei beruhigen und 2015 seine Wiederwahl sichern wollte. Nur deshalb hatte er dieses Votum versprochen. Er wollte sich Luft verschaffen, seine Macht sichern. Das ist ihm kurzfristig gelungen. Aber um welchen Preis? Cameron geht in ein paar Monaten und hinterlässt einen Scherbenhaufen, nicht zuletzt im eigenen Land.

Denn es könnte angesichts der Töne aus Schottland und Nordirland mittelfristig durchaus sein, dass dieser 23. Juni 2016 nicht als neuer Unabhängigkeitstag für Großbritannien in die Geschichte eingehen wird, sondern als der Anfang vom Ende des Vereinigten Königreichs. Wobei das Wahlergebnis auch das alte Sprichwort bestätigt, wonach Alter nicht vor Torheit schützt. Denn es waren die Altvorderen, die den Brexit gewählt haben. Die jungen Leute haben dagegen begriffen, welche Chancen Europa ihnen bietet und mit deutlicher Mehrheit für die EU gestimmt. Das lässt für die Zukunft vielleicht doch noch hoffen.
Diese Abstimmung wird in nationalistischen Kreisen mancher Länder aber zunächst einmal als klares Signal verstanden, um den Briten beim Gang in die nationale Isolation zu folgen. Was für eine fatale, was für eine aberwitzige Entwicklung!

Glaubt denn wirklich jemand, der noch bei Verstand ist, dass die Lösung all unserer Probleme in einem Europa der Nationalstaaten liegen könnte? Was würde es in einer sich rasant verändernden, globalisierten Welt bringen, hinter den heimischen Herd zu kriechen? Wenn wir es als Europäische Union nicht schaffen, gemeinsam aufzutreten und an der Lösung globaler Probleme zu arbeiten, wird aus dem alten Kontinent eine Ansammlung weitgehend macht- und gesichtsloser Einzelgebilde werden.
Wie geschichtsvergessen muss man sein, um überhaupt auf die Idee zu kommen, die EU auf den Müllhaufen der Geschichte werfen zu wollen? 70 Jahre Frieden, wachsenden Wohlstand, Freiheiten in einem Maß, wie wir sie vorher nie gekannt haben! Das ist nicht nichts, das ist eine großartige historische Leistung, die man überhaupt nicht hoch genug ansetzen kann. Und von der vor allem Deutschland über die Maßen profitiert hat. Das gilt erst recht für eine Grenzregion wie unsere.

Es ist einfach und wohlfeil, auf der Europäischen Union und ihren Institutionen herumzuprügeln. Keine Frage, es gibt in der Tat eine Menge zu kritisieren. Manches geht viel zu langsam. Die Suche nach Lösungen dauert scheinbar endlos. Da hat man zuweilen das Gefühl, die Brüsseler Bürokraten wollten alles regeln - bis in die letzte Verästelung unseres Zusammenlebens. Deshalb muss gelten: Reformen ja, Rückschritt nein.
Vergessen wird bei dieser einseitigen Betrachtung der Mängel ohnehin immer, dass Demokratie an sich ein mühsames Geschäft ist. Sie basiert auf dem Streit um den besten Weg, auf der Suche nach Kompromissen und dem Ausgleich völlig unterschiedlicher Interessen.
Wie schwierig das in vielen Fällen ist, sehen wir permanent im eigenen Land. Und da sind nur 16 Bundesländer unter einen Hut zu bringen. Längst nicht immer gelingt das wirklich, kommen am Ende eines langen Prozesses faire, sondern allenfalls faule Kompromisse heraus.
Wie kompliziert muss dann die Suche nach einem gemeinsamen Nenner zwischen 27 Nationalstaaten sein? Das ist manchmal ungeheuer ermüdend, es nervt, läuft zuweilen noch nicht einmal wirklich ansatzweise transparent und demokratisch. Aber es gibt keine echte Alternative zu diesem mühsamen Prozess. Jedenfalls auf Dauer keine friedliche!
d.schwickerath@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort