Wir sind Staat

Man sollte mit dem Begriff "historisch" sparsam umgehen, aber wenn der Bundestag seine Verfassungsänderung zur "Schuldenbremse" nicht unter Druck in ein paar Jahren wieder rückgängig macht (was man ihm leider zutrauen muss), dann war das gestern ein Tag, der die Republik nachhaltig verändert.



Das Prinzip, nicht mehr Geld auszugeben, als vorhanden ist, bekommt Verfassungsrang. Das wird den Umgang mit öffentlichen Mitteln bis ins kleinste Dörfchen revolutionieren. Und das ist gut so. Denn bislang galt: So lange es noch Kredit gibt, ist noch Geld da. Und die öffentliche Hand hat unbegrenzten Kredit. So wurden ungeheure Schuldenlasten aufgehäuft.

Die Kritiker, die darauf verweisen, dass der Staat im Krisenfall auch Schulden machen muss, um den Laden am Laufen zu halten, haben recht und unrecht zugleich. Voraussetzung dafür, dass der Staat in mageren Zeiten den Betrieb auf Pump ankurbelt, ist, dass er in besseren Zeiten seine Haushalte wieder in Ordnung bringt. Das aber hat er hierzulande nie getan. Ob Flaute oder Wachstum: Die Schulden stiegen immer. Wir leben strukturell über unsere Verhältnisse, weil wir mit gepumptem Geld nicht nur konjunkturelle Schwächen ausbügeln, sondern davon Verwaltungen bezahlen, Autobahnen bauen, Löcher in den Sozialkassen stopfen. Das kann nicht gut gehen.

Zynisch am Parlaments-Beschluss ist der Zeitrahmen. Wenn das Heulen und Zähneknirschen in ein paar Jahren losgeht, sind die jetzt Beschließenden im Ruhestand oder haben ihr Schäfchen im Trockenen. Und es wird schlimm werden. Vor allem, wenn die Bürger merken, dass ein ernsthaft sparender Staat jeden Einzelnen da trifft, wo es wehtut. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Es ist nicht irgendein anonymer Staat, der da Geld verprasst. Es sind diejenigen, die nach einem dichten Autobahnnetz, holperfreien Straßen, ordentlichen Schulen, arbeitsplatzsichernden Unternehmensbeihilfen, schönen Theatern, Rentensteigerungen, gutem ÖPNV, genug Polizei, großzügigem Verwaltungsservice, mehr Kindergeld, Erhalt des Ehegattensplittings rufen. Und die gleichzeitig jeden Versuch, einen vorhandenen Besitzstand abzubauen, als Weltuntergang bekämpfen, und sei es auch nur der Verzicht auf einen Autobahnaufstieg, die Schließung einer Zwergschule, die Streichung einer Agrarsubvention, die Auflösung einer Mini-Verbandsgemeinde oder der Wegfall eines lebensunfähigen Bundeslandes.

Wer ehrlich ist, findet sich da irgendwo wieder. Wir sind Staat. Kein anderer. Die Schuldenbremse zwingt die Bürger, sich dieser Realität zu stellen.

d.lintz@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort