Wunsch und Wirklichkeit

Die gefühlte Lage mag so gar nicht zur tatsächlichen Misere passen. Lediglich 1,025 Prozent zieht Vater Staat den Arbeitnehmern für die gesetzliche Pflegeversicherung vom Lohn ab.

Eine lächerlich geringe Summe, wenn man bedenkt, dass die deutsche Gesellschaft rasant altert und der Pflegenotstand vielerorts schon spürbar ist.
Dass sich der demografische Wandel (noch) nicht stärker im Portemonnaie niederschlägt, hat mit dem inkonsequenten Handeln der Politik zu tun. Im vergangenen Jahr brachte die Bundesregierung eine Neufassung des Pflegegesetzes auf den Weg, die sich lediglich auf kosmetische Korrekturen beschränkte. Ein paar wenige Leistungsverbesserungen für Demenzkranke hier, eine paar Brosamen für pflegende Angehörige dort, und fertig war die "Reform". Nach wie vor orientieren sich die Pflegeleistungen im Kern an den körperlichen Gebrechen alter Menschen. Viel praxisnäher wäre es jedoch, die Pflegeleistungen am Grad der individuellen Selbstständigkeit auszurichten. Doch wegen der deutlichen Mehrkosten hat die Regierung auf eine solche Weichenstellung verzichtet. Derweil muss die Pflegebranche sehen, wie sie mit den unzureichenden Mitteln zurecht kommt. Ein Ausdruck dafür ist die permanente Personalknappheit in den Pflegeheimen und bei den ambulanten Pflegediensten. Auf eine Fachkraft kommen inzwischen drei offene Stellen. Kein Wunder, der Job ist nicht nur körperlich anstrengend, er wird obendrein auch noch mies bezahlt. Und die ständige Überlastung verschärft das Problem zusätzlich.
Vor diesem Hintergrund ist leider kaum zu erwarten, dass sich philippinische Pflegefachkräfte um eine Arbeit in Deutschland reißen werden. Mit Kroatien existiert schon seit einigen Jahren ein ähnliches Abkommen. Aber bislang haben nur ein paar Hundert Interessenten aus dem Balkanstaat davon Gebrauch gemacht. Deutschland versprüht eben nicht jene Willkommenskultur, die in Skandinavien oder Großbritannien längst zum guten Ton gehört. Auch die Sprachbarriere ist dabei nicht zu unterschätzen. Natürlich soll in den Heimen gut Deutsch gesprochen werden. Wie sonst könnten sich gerade pflegebedürftige Menschen wohlfühlen? Die Sprachausbildung darf aber nicht zur Abschreckung für ausländische Pflegekräfte werden. Anstatt dafür mehr als ein Jahr lang die Schulbank zu drücken, könnten sie erst einmal als Hilfskräfte in einem Team eingesetzt werden. Das würde den Ehrgeiz zur Verbesserung ihrer Sprachkenntnisse anstacheln. Und wer dann endlich als Fachkraft arbeiten kann, muss auch angemessen entlohnt werden. Es bleibt der nächsten Bundesregierung vorbehalten, ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Verbesserung der Pflegesituation vorzulegen. Und dafür werden die Bürger deutlich tiefer in die Tasche greifen müssen als jetzt.
nachrichten.red@volksfreund.de

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