Leitartikel zur Stiko und der Impfempfehlung Der Schlingerkurs erschwert den Kampf gegen Corona

Meinung · Unsere Autorin erklärt, wieso die Ständige Impfkommission Gefahr läuft, zu vorsichtig vorgeht und warum Kinder beim heutigen Impfgipfel ein deutliches Signal verdient hätten.

 Kommentarkopf, Foto: Andreas Endermann

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Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat bei der Bekämpfung der Pandemie eine undankbare Aufgabe: Auf der einen Seite ist sie der Verwalter des Mangels. Mit ihrer Empfehlung zur Priorisierung legte sie die Basis für die Verteilung des so knappen Impfstoffes. Sie sagte, welche Alters- und Berufsgruppe Vorfahrt haben sollte – und welche nicht. Auf der anderen Seite muss die Stiko Nutzen und Risiken einer Impfung gründlich abwägen, was bei neuen Vakzinen nicht trivial ist. Von den Aussagen der Stiko hängt viel ab. Das erklärt, warum das beim Robert-Koch-Institut angesiedelte Gremium so gründlich vorgeht. Doch es ist zu befürchten, dass die Stiko das Kind mit dem Bade der Vorsicht ausschüttet.

Stiko-Mitglieder lehnen eine allgemeine Empfehlung für das Impfen von Kindern ab und wollen eine Immunisierung unter Verweis auf die Datenlage nur für Jugendliche mit Vorerkrankungen anraten. Das ist nicht überzeugend. In Ländern wie den USA und Kanada ist der Biontech-Impfstoff für Kinder ab 12 Jahren bereits zugelassen. Wenn nun auch die Europäische Arzneimittelagentur Ema grünes Licht gibt, was in Kürze erwartet wird, sind die Bedenken der Stiko nicht zu verstehen. Die Gremien haben dieselben Daten, sie alle gehen sorgsam vor. Mit Prinzipienreiterei würde die Stiko den Kampf gegen die Pandemie erschweren.

Gewiss: Letztlich können sich Ärzte über die Stiko hinwegsetzen, diese spricht eben nur eine Empfehlung aus. Da hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn recht. Wenn es eine Zulassung durch die Ema gibt, ist es allein die Entscheidung des Arztes und der Eltern, ob ein Kind geimpft wird. Doch wer Eltern überzeugen muss, das Kind durch eine Impfung zu schützen, tut sich leichter, wenn er Rückenwind statt Gegenwind hat.

Zudem ist es nicht das erste Mal, dass die Stiko unglücklich agiert: Auch bei der Einschätzung zur Impfung von Schwangeren kann sie sich bis heute zu keiner klaren Empfehlung durchringen, obwohl Frauenärzte dies mit Blick auf die hohen Risiken einer Corona-Erkrankung dringend fordern.

Schaden richtete die Stiko auch mit ihrem Schlingerkurs in Sachen Astrazeneca an. Erst durfte der britische Impfstoff nur an Jüngere gehen, weil der Hersteller in Studien zu wenig Ältere berücksichtigt hatte. Nach vereinzelten Thrombosefällen wurde der Marschbefehl umgekehrt, und die Stiko sprach sich für die Verimpfung nur an Ältere aus. Am Ende dürfen ihn nun auch Jüngere nach Beratung bekommen. Der Ruf ist ruiniert. Nicht nur die Ema wundert sich.

Bei aller Wertschätzung für Gründlichkeit – mit Empfehlungen aus dem Elfenbeinturm kann man eine Pandemie nicht bekämpfen. Wie soll bei so viel Bedenkenträgerei vom Impfgipfel an diesem Donnerstag ein kraftvolles Signal für das rasche Impfen von Kindern ausgehen? Dabei hätten genau das die Kinder verdient. Sie sind – durch über ein Jahr Homeschooling und seine teilweise fatalen Folgen – die größten Verlierer der Pandemie.

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