Forum Verkehrte Welt

Na, schon probiert? Süßes Nichtstun, die Seele baumeln lassen, entschleunigen – herrlich. Nutzt die Zeit, Leute!

 Peter Reinhart

Peter Reinhart

Foto: TV/Klaus Kimmling

In einer Welt, in der man nur noch lebt, damit man täglich roboten geht, ist die größte Aufregung, die es noch gibt, das allabendliche Fernsehbild …

Der Song der Toten Hosen über den Rebellen Alex kommt mir – warum, weiß ich nicht – in den Sinn, als ich dieser Tage eine Traumschleife im Hochwald laufe. Auf dem sonst so stillen Wanderweg ist mehr los als auf dem Times Square in New York, dem Piccadilly Circus in London, dem Markusplatz in Venedig. Der Corona-Stresstest treibt die Leute raus aufs Land.

Verkehrte Welt.

Jeder Mensch lebt wie ein Uhrwerk, wie ein Computer programmiert, singt Campino, es gibt keinen, der sich dagegen wehrt, nur ein paar Jugendliche sind frustriert ...

Die mir begegnen auf der Traumschleife, und das sind viele, meist zu zweit unterwegs, machen einen vergnügten Eindruck. Okay, manche japsen ob der ungewohnten Bewegung an der frischen Luft, manche fuchteln verzweifelt mit ihrem Smartphone herum auf der Suche nach einem Netz, das es im Wald nicht gibt. Natürlich nicht.

Alles in allem: eine total entspannte, friedliche Atmosphäre. Kein Lärm, nirgends. Vögel zwitschern. Es beginnt zu dämmern. Dahinten am Feldrain sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht.

Verkehrte Welt.

Die Entschleunigung, die wir so oft herbeisehnen und so selten genießen, ist plötzlich da. Unfreiwillig, eine staatlich angeordnete Verschnaufpause. Das ist es doch, was wir uns wünschen!

Ach, wie schön, mal nichts zu tun, eine Auszeit zu nehmen, das Weite zu suchen, auszusteigen, die Seele baumeln zu lassen, achtsam und empfindsam zu sein, in hyggeligen Glücksgefühlen zu baden, auf den Kieselsteinen am Fluss zu liegen und lässig zu beobachten, wie nichts passiert, Bäume zu umarmen und zu liebkosen oder einem Totholz­habitat beim Verwittern und Verwesen zuzuschauen ... die Muße für all so was haben wir vor Corona, wenn überhaupt, mühsam der Hatz des Alltags abgezwackt.

Jetzt, mittendrin in der Virus-Krise, halten wir inne, wie in Zeitlupe, ein eingefrorener Moment für die Ewigkeit – und können es kaum erwarten, dass sich das Leben wieder beschleunigt. Schnell, schnell, schnell zurück in eine Welt, in der man nur noch lebt, damit man täglich roboten geht ...

Frohe Ostern, bleiben Sie munter!

Peter Reinhart

Stellvertretender Chefredakteur

E-Mail: forum@volksfreund.de

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