Literatur Absurde Vermutung

Zur Buchkritik „Schmerzhafter Blick auf eine Welt ohne Mitleid“ (TV vom 19. November) schreibt Norbert Küpper:

Sabine Ganz’ Haltung zu dem neuen Roman von Ute Bales ist nicht nachvollziehbar. Bales beschreibt die Täter nicht als reine kaltherzige Monster ohne die Fähigkeit von Empathie. Die widersprüchlichen Gefühlsebenen der Täter erhalten ein lebendiges Gesicht. So kommt bei Eva Justin vereinzelt Mitleid, das sie aber aus engstirnigem Karrieredenken wieder verdrängt. Auch die mitmachenden Nebenfiguren sind Menschen, wie wir sie heute finden. Die Opfer kommen in diesem Roman keineswegs zu kurz. Jedem Leser muss einleuchten, dass erst die Lagerbedingungen die Sinti und Roma zu „verdreckten Untermenschen“ machten.

Lessings Empathie hilft hier nicht weiter. Die Schmerzen der Opfer zu artikulieren, heißt, ihnen auch noch ihre individuellen Empfindungen zu nehmen beziehungsweise vorzuschreiben, welchen Schmerz sie zu spüren haben. Wie es in einem Projekt in Wittlich gerade geschieht.

Ein Risiko geht Frau Bales keineswegs ein. Es sei denn, das Ziel der Kunst sei ein allgemeines Wohlgefallen. Sie gibt aktuellen Forschungsrichtungen eine Kunstform. Mit ihren literarischen Mitteln verschafft sie dem Leser die Möglichkeit, sich von diesen menschlichen Charakterzügen und möglichen Tätern zu distanzieren. Mit dem Literaturanhang lädt sie ihn ein, sich intensiv damit zu beschäftigen.

Absurd ist die Vermutung, dass durch diesen Roman die NS-Ideologie wiederaufleben könnte. Bales’ Kunst ist das Gegenteil zur Schöne-Heile-Welt-Kunst zum Beispiel des Wittlichers Hanns Scherl , in der die DNA des Nationalsozialismus nach 1945 weiterlebt. Scherl wurde von Frau Bales auch schon thematisiert.

Norbert Küpper, Köln

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