Leserbriefe Alles Marx, oder was?!

Zur Berichterstattung über das Karl-Marx-Jahr schreiben Christine Reisen, Heribert Schmitt, Frank Feder, Gerhard Schwetje, Gerhard Lenssen, Dankwart Mallmann, Dr. Ernst Wolfgang Orth, Rainer Ludwig und Heinrich Ewen:

Zum Artikel „Geschenk aus China sorgt weiter für Zoff“ (TV vom 11. April):

Aus Interesse und im Nachhinein doch sehr naiv habe ich die Podiumsdiskussion „Ein vergiftetes Geschenk? Die chinesische Karl-Marx-Statue in Trier“ an der Europäischen Kunstakademie besucht. Nachdem ich nun paar Tage Zeit hatte, das Erlebte sacken zu lassen, bin ich immer noch fassungslos.

Vorab: Ich bin froh, dass es Opferverbände gibt, egal für welche Opfer sie einstehen. Es hat mich sehr berührt, wie traumatisiert und aufgewühlt einige dieser Besucher immer noch waren. Dass diese Erfahrungen aus der Vergangenheit auf ein solches Symbol projizieren und dementsprechend wütend und emotional reagieren, kann ich irgendwie auch noch nachvollziehen.

Was ich jedoch nicht nachvollziehen kann und ich wirklich ungeheuerlich finde, waren die permanenten Vergleiche des „Dritten Reichs“ mit der DDR. Ich weiß wirklich nicht, wie insbesondere Dr. Hubertus Knabe und Helmuth Frauendorfer, beide in einflussreichen Positionen bei der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, sowie Dieter Dombrowski, Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), so verantwortungslos mit der Autorität ihrer Ämter umgehen können. Ich bin entsetzt!

Man ist es leider ja schon gewohnt, dass im Zuge des Erfolgs der AfD reaktionäres und rechtskonservatives Gedankengut scheinbar wieder salonfähig geworden ist; dass aber Direktoren respektive Vorsitzende von Gedenkstätten und Opferschutzbünden so aggressiv ihren Standpunkt mit aus dem Kontext gerissenen Marx-Zitaten zu untermauern versuchen und mit diesem Opportunismus latent vorhandene Ressentiments in der Bevölkerung politisch ausnutzen, ist mehr als befremdlich.

Marx mit Hitler zu vergleichen war das letztlich fast schon konsequente, dennoch groteske Tüpfelchen auf dem i. Leider kam ich nicht zu Wort. Ein Zufall? Hier meine Frage an Herrn Dr. Knabe und Herrn Dombrowski, die ich während der Veranstaltung nicht stellen konnte: Tragen Sie als Leiter von Gedenkstätten und Opferschutzbünden nicht eine besondere moralische Verantwortung gegenüber Opfern? Auch wenn es Ihnen vordergründig um verübte Gewalt unter dem Deckmantel des Kommunismus geht, was ich als als sehr ehrenvolle Arbeit ansehe, kann es nicht angehen, dass Sie diese Opfer für Ihre Polemik missbrauchen, um eine absurde Verbindungslinie von Marx zur Singularität der grausamen Verbrechen des Nationalsozialismus zu ziehen.

Ich als Zuhörer brauche keine Hetze, um Opfer zu erkennen. Davon gibt es zu viele und vor allem zu viele, die nicht gesehen werden. Wer trotzdem der Meinung ist, Totalitarismus müsse totalitär begegnet werden, der muss sich letztlich nicht wundern, wenn der größte Applaus von Menschen kommt, die mit Stolz eine 88 als Tattoo tragen.

Christine Reisen, Saarbrücken

Marx, Marx, Marx, wohin das Auge schaut - und das Ohr hört. Viele Trierer (kenne eine ganze Menge) wollen gar nicht so viel marxen – und werden mit Marx übermarxt. Hunderte Veranstaltungen, Ampelmännchen (ganz lustig), Tassen, Münzen ... das Übliche halt. Fehlen nur noch Marx-Gummibärchen oder Marx-Bartwichse.

Man schlägt aus Marx halt Kapital. Marx, Marxer, am Marxesten. Weniger ist oft mehr.

Heribert Schmitt, Trier

Zu einem Leserbrief unter der Überschrift „Zur Schnecke gemacht“ (TV vom 14./15. April):

Genau, Frau Jenewein, Geschenke kann man schlecht zurückweisen. Aber das man die Griechen – in diesem Fall die Chinesen? – fürchten muss, wenn sie Geschenke bringen, ist ja eine antike Weisheit.

Ich hätte die großzügige Gabe mit einem Gegengeschenk beantwortet, einem sechs Meter hohem Kruzifix, vielleicht mit folgendem Begleittext: „Liebe Führer der Kommunistischen Partei Chinas, vielen Dank für Ihr großzügiges Geschenk an die Stadt Trier. Im Gegenzug dürfen wir Ihnen eine Darstellung des gekreuzigten Jesus von Nazareth überreichen. In unserer Kultur steht gerade diese Darstellung für den Protest gegen die Opfer ungerechter Gewalt. Wir denken, dass er sicher einen Ehrenplatz auf dem Platz des Himmlischen Friedens bekommen wird. Ihr Stadtrat Trier.“

Frank Feder, Koblenz

Nun wird Trier alsbald neben seinem reichen römischen kulturellen Erbe auch eine griechische Skulptur erhalten: das Danaer-Geschenk des Trojanischen Pferdes: in Gestalt einer staatlichen chinesisch-kommunistischen Propaganda-Karl-Marx-Statue. Diese wird wohl kaum zu einer Auseinandersetzung mit den teils klugen Diagnosen, aber menschenverachtenden Therapievorschlägen von Karl Marx zur Bewältigung des Kapitalismus beitragen.

Trier wird es überleben, denn die Geschichte hat ihr Urteil über Marx schon gesprochen und wird es über kurz oder lang auch in China tun, denn der menschliche Freiheitsdrang ist immer stärker als politische Diktatur, auch die des Proletariats, die in Wirklichkeit immer eine Diktatur der Parteifunktionäre war und ist.

Wir haben es 1989 wieder erfahren. Karl Marx kann einem fast schon wieder leidtun, wenn man sieht, wie seine Person in raubtierkapitalistischer Manier um größerer Touristenströme wegen vermarktet und so ihrer zu respektierenden Identität beraubt wird. Das Ampelmännchen lässt grüßen!

Die Stadt Trier aber muss sich fragen lassen, ob sie nicht ihre Legitimation zur Verleihung des nach ihrem Ehrenbürger Oswald von Nell-Breuning benannten Preises verspielt hat. Denn dieser hat bereits 1983 bei der Gedenkfeier des ihm mit Karl Marx gemeinsamen Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums gesagt: „Karl Marx hat die Welt ungeheuer verändert. Aber wir können ihm wirklich dafür nicht dankbar sein. Wir können nur sagen, die Veränderung, die er in die Welt hineingebracht hat, ist doch vielleicht das größte Unglück, das über die Menschheit gekommen ist. Wir können uns unseres Mitschülers Marx unmöglich rühmen.“

Man kann nicht gleichzeitig Karl Marx auf den Sockel stellen und gleichzeitig einen Oswald-von-Nell-Breuning-Preis verleihen. Das Menschenbild, von dem sich beide in ihrer Ökonomielehre haben leiten lassen, ist nicht kompatibel. Der nach dem Trierer Ehrenbürger Oswald von Nell-Breuning benannte Preis für soziales Engagement darf nicht in dieser Weise konterkariert werden.

Gerhard Schwetje, Trier

1980, während einer Studienreise in China – die Kulturrevolution war noch nicht so lange her – fielen mir ab und zu über die Straße gespannte Spruchbänder auf, auf denen das Schriftzeichen für Pferd zu sehen war. Schließlich fragte ich einen unserer chinesischen Begleiter, was denn da über ein Pferd geschrieben sei. Er meinte, da steht nirgends etwas von einem Pferd, da müsste ich mich geirrt haben.

Kurz darauf sah ich wieder das Pferd-Zeichen und zeigte es ihm. Da fing er an zu lachen, ja, meinte er, das sei das Pferd-Zeichen, aber kein Chinese denke in diesem Zusammenhang an ein Pferd.

Europäische Namen werden in der chinesischen Schrift durch gleichlautende chinesische Zeichen dargestellt; und auf dem Spruchband ging es um Marxismus, und der Anfang des Namens Marx, nämlich Ma, bedeutet „Pferd“, auf Chinesisch „ma“ – mit entsprechender worteigener Betonung.

Für die beiden Silben meines Nachnamens wurden die Zeichen für „kalt“ und „Wald“ benutzt; was ausgesprochen freundlich war, man hätte, wie ich im Lexikon feststellte, mit etwas anderer Silbenbetonung, meinen Namen auch mit den Zeichen für „glotzen“ und „Mönch“ schreiben können.

Gerhard Lenssen, alias Kaltwald, alias glotzender Mönch, Bernkastel-Kues

Ja, es ist schon wahr, dass es mit der großen Beglückung von Trier durch ein Riesendenkmal für Karl Marx auf Dauer nicht so recht klappen kann. Die Kritik an Marx ist nun mal berechtigt, war er doch Antisemit, Slavenverächter, jemand, der für seine Familie nicht zu sorgen verstand, der seine Frau und Töchter ausgesprochen schlecht behandelte, der im Bekanntenkreis als Grobian galt, der vom Arbeiterkehricht sprach, mit Bakunin, von welchem der Satz stammt, die Lust der Zerstörung ist eine schaffende Lust, den Teufel als ersten Befreier der Menschheit lobte, einer, der Diktatur und Gewaltanwendung begrüßte, der kurz vor seinem Tode ausdrücklich bekannte: „Ich weiß, ich bin verdammt.“ Aber trotz solcher und anderer wirklich unschöner Kritikpunkte war er doch auch jemand, der nach seinem Tod höchst erfolgreich tiefgreifendste Wirkungen entfaltete, die wir alle über Jahrzehnte wohl leider weithin eher mit entsetzten Augen erfahren mussten und zum Teil auch noch erfahren – das nicht allein in Nordkorea.

Erfolg, was er auch sein mag, erweckt nun aber mal immer irgendwelche Aufmerksamkeit und zählt auch für viele in besonderer Weise. Was die Erfolgsperspektive bei Marx war, hat er selbst in einem Gedicht, wie folgt, ausformuliert:

„Einen Thron will ich auferbauen, / kalt und riesig soll sein Gipfel sein. / Bollwerk sei ihm übermenschlich Grauen, / und sein Marschall sei die düst´re Pein.“

Sein weiterhin nachwirkender Erfolg wirkt offenbar bis heute selbst nach Trier sich mächtig aus und schließt hier bei uns sogar jetzt noch die Errichtung eines Riesendenkmals für diesen Herrn ein. Es gilt wohl auch hier, dass das erste Opfer einer jeden Unwahrheit immer der Verstand ist.

Dankwart Mallmann, Trier

Die in Trier aufgestellte maoistische Marx-Plastik mag an ein altes chinesisches Sprichwort erinnern: „Die Schenkenden wissen warum; die Beschenkten stehen dumm drum herum.“

Dr. Ernst Wolfgang Orth, Trier

Liebe Bürger von Trier und Umgebung, in eigener Sache bin ich nicht gerne aktiv. Nun steht aber die Frage im Raum, was ich wohl zu den meiner Person geltenden Feierlichkeiten sage. Ich will es kurz machen: Es ist zu viel der Ehre, die man mir zum 200. Geburtstag erweist. Ganz und gar nicht einverstanden bin ich mit der Aufstellung einer Statue, die mich in einer Größe zeigt, die das menschliche Maß um das Dreifache überschreitet. Das entspricht nicht meinem Wesen, so erhöht fühle ich mich „unmenschlich“.

Ich war ein echter Trierer, ein bescheidener Junge mit Gespür für das Maßvolle. Sonst hätte ich mich doch nie um das Verhältnis von Arbeit und Kapital geschert. Jedenfalls muss ich das Geschenk bei aller Hochachtung vor den chinesischen Künstlern ablehnen. Die Staatsmandarine im Reich der Mitte, die die Geschenkidee hatten, sollten das akzeptieren.

Aufgrund der heute immer noch dort waltenden Verhältnisse, die Spuren ständiger Verschlimmbesserung zeigen, frage ich mich, ob sie meine Werke überhaupt gelesen, geschweige denn verstanden haben.

Meine Bescheidenheit ist erklärungsbedürftig: Als ich zur Welt kam, waren gerade die Preußen in Trier angekommen. Die meisten Trierer nannten sie freche Eindringlinge. Wir mussten kleine Brötchen backen. Nichtsdestotrotz war ich neugierig, das Haus meines Schulkameraden Edgar von Westphalen zu besuchen, jenes stattliche Anwesen, das sein Vater, ein hoher preußischer Beamter, gleich nach seiner Versetzung an die Mosel in der Neustraße erworben hatte. Ich war fast täglich dort, allein wegen der lieben Jenny, die meine Frau geworden ist.

Was mich bedrückt, sind nicht die Leserbriefe im Trierischen Volksfreund, wohl aber die darin enthaltenen gegensätzlichen Wertungen meiner Person und die Meinungen zu meinen Analysen und Lehren. Ich möchte mich nicht rechtfertigen und auch keine Partei ergreifen. Es kann sein, dass ich Schuld ohne Verschulden habe. Für die Auslegung meiner Theorien und falsche Rückschlüsse fühle ich aber keine Verantwortung.

Über Aufmerksamkeiten aus der Heimat freue ich mich, aber übertreibt bitte nicht. Sehr gefreut habe ich mich vor mehr als 70 Jahren über das Geschenk des damals neuen Landes Rheinland-Pfalz. Es war eine kleine Briefmarke mit meinem Bild im Wert von 15 Pfennigen, ein gültiges Postwertzeichen in der französischen Zone 1947. Also: Bleibt menschlich und bescheiden, gedenkt meiner angemessen, Euer Karl Marx.

Rainer Ludwig, Kordel

Zum Artikel „Großeinsatz am Karl-Marx-Tag“ (TV vom 13. April):

Mehr als 300 Veranstaltungen über Leben und Werk des Trierers Karl Marx. Dann die vielen Gäste, die nach Trier kommen, Menschen  aus China und Leute aus der hohen Politik, statten der Geburtsstadt von Karl Marx einen Besuch ab. Viele Menschen auf der ganzen Welt führen zwar seinen Namen im Munde. Man fragt sich: Hat Marx denn so vieles für das Wohl der Menschen getan? Werden nicht noch heute Menschen bedrängt, unterdrückt, verfolgt in seinem Namen?

Ob ein anderer Trierer, der ebenfalls – wenn auch erst 1908 – am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium Abitur machte, es verdient hat, nicht minder herausgestellt zu werden? Der Trierer Oswald von Nell-­Breuning machte sich ebenso Gedanken über das Verhältnis von Kapital und Arbeit und stellte die Gleichwertigkeit von Arbeit und Kapital heraus. Nell-Breuning war Berater im Deutschen Gewerkschaftsbund, er wirkte beratend mit am Godesberger Programm der SPD und vieles mehr.

Nicht zuletzt: Nell-Breuning  war maßgeblich beteiligt an der berühmten Sozialenzyklika Quadragesimo anno von 1931, in der die Sozialbindung jeden Eigentums herausgehoben wird. Er war Nestor der katholischen Soziallehre, die in der Sozialen Marktwirtschaft verwirklicht wurde. Wer hat wohl mehr zum Wohl der Menschen beigetragen?

Heinrich Ewen, Wittlich

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