Leserbriefe Atomwaffen in Deutschland: „Et hätt noch immer jut jejangen…“

Atomwaffen in Büchel

Zum Leserbrief „Atomwaffen haben Kriege verhindert“ (TV vom 10. Juli):

 

Es mag sein, dass die Abschreckungsstrategie basierend auf Atomwaffen bisher Kriege verhindert hat. Diese Strategie schützt allerdings nicht vor einem Atomkrieg aus Versehen, als Folge von Fehleinschätzungen bei Fehlalarmen in Frühwarnsystemen zur Vorhersage von Angriffen mit Atomraketen. In der Vergangenheit gab es einige kritische Situationen, in denen nur durch großes Glück nichts passiert ist.

Vor solchen Risiken warnen auch viele militärische Experten. Zum Beispiel schreiben Lahl und Varwick in ihrem Buch „Sicherheitspolitik verstehen“ (zweite Auflage, 2021, Seite 130), dass es keine Garantie gibt, dass die krisenstabilisierende Rolle von Atomwaffen erhalten bleibt, sondern dass, ganz im Gegenteil, neue technische Entwicklungen das Risiko einer mangelnden internationalen Beherrschbarkeit der Kategorie nuklearer Waffen erhöhen. Außerdem schreiben sie, dass Nuklearwaffen ein Schadenspotenzial haben, welches das Überleben der gesamten Menschheit unter hohes Risiko stellt.

Neue technische Entwicklungen betreffen insbesondere neue Trägersysteme wie Hyperschallraketen, die die Vorwarnzeiten extrem verkürzen, sowie die anstehende Bewaffnung des Weltraums, den Ausbau von Cyberkriegskapazitäten und den zunehmenden Einsatz von „Künstlicher Intelligenz“ bis hin zu autonomen Komponenten mit automatischen Entscheidungen. Diese Zusammenhänge sind zum Beispiel bei www.akav.de dargestellt.

Der Klimawandel wird in den nächsten Jahrzehnten zu Einschränkungen der Lebensräume und als Folge zu globalen Krisen führen. In solchen Situationen werden Fehler in Frühwarnsystemen extrem gefährlich und können leicht zu einem Atomkrieg aus Versehen führen. In einem solchen Fall werden eher viele Atomwaffen zum Einsatz kommen, mit der Gefahr eines nuklearen Winters und damit einer weltweiten Gefährdung der Nahrungsmittelproduktion.

Selbst ein begrenzter Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan kann zu einem nuklearen Winter mit katastrophalen Folgen, auch bei uns, führen. Von der Entscheidung eines einzelnen Menschen und in Zukunft vielleicht von der Entscheidung einer Maschine kann das Überleben der gesamten Menschheit abhängen. Solange dies gilt, wird eine Koexistenz von Menschen und Atomwaffen auf dieser Erde auf Dauer nicht möglich sein.

Bisher haben Atomwaffen keine Kriege verhindert. Der einzige Krieg, der verhindert wurde, war der Atomkrieg, bei dem das Risiko, sich selbst mit zu zerstören, zu groß war.

Unter der Schutzbehauptung, dass Atomwaffen Kriege verhindern, wurde auf allen Ebenen aufgerüstet bis zum „Gehtnichtmehr“, als ob es sonst keine Probleme gäbe.

Aufrüstung ist ein einträgliches Geschäft, wofür Unschuldige sterben müssen. Wer entscheidet über Kriege ? Nicht die Völker sondern Einzelpersonen und Gruppen, die machtbesessen ihre eigenen Interessen sehen. Im Jahr 2020 wurden rund zwei Billionen Dollar (1000 mal 1000 mal 1000  mal 1000 ) weltweit für Projekte ausgegeben, die töten und zerstören sollen. Allein Deutschland hat für 2021 einen Verteidigungshaushalt von rund 46,93 Milliarden Euro (2022: 50,3 Milliarden Euro). Das sind die Steuergelder der Bürger, die das mehrheitlich laut Umfragen ja gar nicht befürworten.

Bei Rentenerhöhungen wird immer gefragt: „Wie wird das gegenfinanziert?“ Fragt man das bei Rüstungsausgaben auch?

Der Afghanistankrieg hat offiziell zwölf Milliarden  Euro nur für Deutschland gekostet, oder waren es doch mehr? Ergebnis: 59 deutsche Soldaten gefallen, viele Soldaten haben physische und psychische Schäden davongetragen. Und: Die Taliban werden voraussichtlich in ein paar Wochen Afghanistan wieder beherrschen.

Was wäre, wenn nur die Uno-Friedenstruppen besäße und alle anderen Länder total abrüsten? Aber das kollidiert mit den Machtinteressen einzelner Regenten und Interessengruppen. Jede Waffe, die hergestellt wird, erzeugt Zerstörung, Tote und Flüchtlinge. Jede Waffe ist kontraproduktiv zu Friedensbemühungen, Armutsbekämpfung, Krankheitsbekämpfung, Umweltschutz und Erdengemeinschaft.

 Meine Recherchen haben Folgendes ergeben: Wenn ein möglicher Feind in einer Entfernung von 2000 Kilometern Mittelstreckenraketen abschießt, können diese in rund 20 Minuten am Ziel sein. Die Atombomben in Büchel müssen erst an einem Trägerflugzeug (Tornado) fixiert werden. Die in Büchel stationierten Tornados müssen nach 1400 Kilometern aufgetankt werden.Sie haben eine Geschwindigkeit von rund 2200 Kilometer/Stunde. Folglich erreichen sie ihr Ziel bei 2000 Kilometern Entfernung in rund  55 Minuten.

Dann lieber Friedensaktivist, als solche mörderischen Spiele mitmachen oder stillschweigend befürworten.

 

Müssen wir wirklich über den Sinn von Waffen diskutieren, die im Ernstfall das Leben von Millionen Menschen und Tieren vernichten würden? Deren Einsatz in Japan, deren Erprobung und Herstellung hunderttausende Menschenleben kostete und immer noch fordert. Die – wie das US-Modernisierungsprogramm für Atomwaffen — in den nächsten 30 Jahren die Unsumme von tausend Milliarden US-Dollar verschlingen wird, wo schon die Hälfte des Geldes ausreichen würde, den Hunger auf der Erde zu besiegen?
Geschenkt, sagen jetzt wahrscheinlich Befürworter der atomaren Abschreckung, denn immerhin hätten Atomwaffen den ganz großen Krieg zwischen den Blöcken verhindert. So TV-Leser Hans J. Römpler in seinem Leserbrief.

Dazu einige Anmerkungen:

1. Herr Römpler beschreibt einen vermuteten Wirkungszusammenhang, der weder beweisbar noch dauerhaft sicher ist. Die beiderseitige gesicherte Zerstörung (im Englischen: Mutual Assured Destruction) wird seit längerem durch strategische und technologische Entwicklungen untergraben. So warnt einer der ehemals ranghöchsten Bundeswehrgenerale, die Einführung Künstlicher Intelligenz „verschafft das Potenzial, im Handstreich zu entwaffnen, und destabilisiert das strategische Gleichgewicht“ (Generalleutnant a.D. Kersten Lahl).

2. Wenn es nur auf die gegenseitige Vernichtungsfähigkeit ankäme, dann würde eine Minimal­abschreckung mit wenigen Atomwaffen doch reichen. Doch sowohl die USA als auch Russland besitzen mehr als 6000 atomare Sprengköpfe für eine atomare Kriegsführung, wenn die Abschreckung versagen sollte. Der Trend: „Alle Atommächte modernisieren, verstärken oder vergrößern derzeit ihre Atomwaffen-Arsenale“ (SIPRI-Jahresbericht 2020).

3. Kleinere, zielgenauere Atomwaffen, wie sie von allen Atommächten – und bald auch in Büchel — eingeführt werden sollen, senken die psychologische und militärische Schwelle zum Einsatz, erst recht in Zeiten von zugespitzten politischen Krisen.

 4. Atomare Abschreckung setzt rational handelnde Akteure voraus, und das in jedem Moment. Donald Trump? Marine Le Pen? Kim Yong Un? Nicht wirklich. Die Abschreckungsbefürworter argumentieren getreu dem Kölschen Spruch: „Et hätt noch immer jut jejangen“. Mich erinnert das an die unumstößlichen Weisheiten der Befürworter der zivil genutzten Atomenergie: „Ein Versagen ist nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen“. Eben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort