Politik Auf der Suche nach Profil

Zur Lage der großen Koalition in Berlin schreiben Ernst Geilenkirchen und Rainer Ludwig:

Die Karikatur von Harm Bengen (TV vom 4. Dezember) bringt es auf den Punkt: Die unverhohlene Drohung von Annegret Kramp-Karrenbauer, die Durchsetzung der Grundrente vom Verbleib der SPD in der Groko abhängig zu machen, zeigt das wahre Motiv der CDU-Politik; es geht um Machterhalt. Dass sie die Grundrente, der sie vor einigen Tagen zugestimmt hat, jetzt als Druckmittel einsetzt, um die SPD zu disziplinieren, ist schon ein starkes Stück. Wenn sie diesen Beschluss wieder kippen will, falls die SPD nicht mehr Koalitionspartner ist, muss doch die Frage erlaubt sein, warum sie die Entscheidung mitgetragen hat. Es ging AKK und ihrer Partei also gar nicht darum, eine Regelung zur Verbesserung der Lage von Millionen Rentnern zu erreichen, sondern nur darum, die eigene Macht zu sichern. Stand nicht das Wohl der Menschen, für die sie ja regieren soll, im Vordergrund, sondern das der Partei? Ein fatales Zeichen an die Wähler, die ohnehin der Politik der etablierten Parteien misstrauen. Machterhalt und soziale Kälte, das sind wesentliche Merkmale dieser christlichen Partei. Die CDU-Politikerin Rita Süssmuth, von 1985 bis 1988 Bundesministerin für Jugend und Familie, danach für zehn Jahre Bundestagspräsidentin, erklärte kürzlich in einem Interview: „Jesus hätte uns wahrscheinlich aus dem Tempel gejagt, wenn er gesehen hätte, wie wir mit dem C umgehen.“ Die Gesellschaft müsse – so Süssmuth – wieder auf ein moralisch und ethisch gefestigtes Wertefundament gestellt werden und der sozialen Verantwortung gerecht werden. Das gelte nicht nur für Geflüchtete, die bei uns Hilfe suchen, sondern auch für den Umgang mit Armut in unserer Gesellschaft.

Vor zwei Jahren hat die SPD aus staatsbürgerlicher Verantwortung den Eintritt in die Groko gegen innere Überzeugung vollzogen, weil andere diese Aufgabe nicht übernehmen wollten. In dieser Zeit hat die SPD im sozialen Bereich viel erreicht. Ihre Minister Heil, Giffey, Scholz, Barley und Lambrecht sind die positiven Erscheinungen der Groko. AKK, Seehofer, Karli­czeck und Scheuer (ja, der ist immer noch im Amt!) stehen auf der Minusseite. Sie sind – wenn überhaupt – nur durch Pleiten, Pech und Pannen in Erscheinung getreten. Wenn die Sozialdemokraten jetzt nach erfolgreicher Arbeit, für die ihnen die Anerkennung in Form von Wählerstimmen versagt blieb, den Absprung aus dieser verhängnisvollen Partnerschaft nicht durchziehen, kann man nur hoffen, dass es dem neuen Führungsduo Esken und Walter-Borjahns, weil ja beide nicht in die Regierungsarbeit eingebunden sein werden, gelingt, für ihre Partei wieder ein sozialdemokratisches Profil zu erstellen. Denn trotz der Erfolge ist es der Partei in den letzten Jahren nicht gelungen, als eigenständige Kraft wahrgenommen zu werden.

Ein Ausstieg aus der Groko ist nach meiner Meinung aber – auch nach AKKs jüngstem Erpressungsversuch – die bessere Option.

Ernst Geilenkirchen, Kelberg

Zum Artikel „Die SPD zieht nach links – aber nicht so ganz“ (TV vom 9. Dezember):

Der „Aufbruch in die neue Zeit“, den die SPD propagiert, erfordert für den Erfolg eine größere Schar überzeugter Mitstreiter aus den eigenen Reihen.

Nach dem Votum des Parteitages kommt es darauf an, diejenigen zu mobilisieren, die trotz heikler Lage gleichgültig den beiden Abstimmungen für die Wahl des Führungsduos ferngeblieben sind. Immerhin fast die Hälfte der Genossen.

Die Begeisterung für den beschworenen Aufbruch hält sich spürbar in Grenzen. Es herrscht sogar die Sorge vor, dass die SPD-Umfragewerte noch weiter nach unten gehen, allein weil an der Autorität des neuen Führungsduos gezweifelt wird.

Die Beschlüsse des Parteitages waren wohl mehr den Hoffnungen vieler SPD-Abgeordneter des Bundestages geschuldet, die persönlich in dem zunächst propagierten sofortigen Ausstieg aus der Regierung das politische Harakiri befürchteten. Es ist offen, wohin der neue Weg führt. Er scheint nach links abzubiegen, doch er ist reichlich mit Themen gepflastert, die in der Mitte präsent sind.

Die einzelnen Punkte stehen längst auf der Agenda der Unionsparteien, wenn man von der „Reichensteuer“ auf das Vermögen absieht. Eine Idee aus der der Mottenkiste.

Im Übrigen verfügt die Bundesregierung mit Olaf Scholz über einen Finanzminister, der umsichtig die sorgsame Arbeit seines Vorgängers Wolfgang Schäuble fortsetzt. Als Antwort auf konjunkturelle Erfordernisse genügt antizyklisches Verhalten. Karl Schiller, ein populärer SPD-Minister, hat es 1968 eingeführt und praktiziert. Das waren noch Zeiten!

Der neue SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans, als früherer Finanzminister von Nordrhein-Westfalen gerichtlich wegen verfassungswidriger Haushalte mehrfach gerügt, möge sich ein Beispiel nehmen.

Rainer Ludwig, Kordel

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