Ausgeprägter Verdrängungsmechanismus

Zum Leserbrief "Keine Alternative" (TV vom 5. Januar):

Hätte Herr Reuter in seinem Leserbrief doch bloß seinen Titel "Energieberater a. D." weggelassen. Seine Argumente pro Atomenergie wären von mir unter der Rubrik "naiver Atombefürworter" abgeheftet und sofort vergessen worden. So aber provoziert er eine Replik auf seine scheinbaren Sachargumente.

Erstes Argument: Nur mit der Nutzung der Atomkraft bleibe Strom bezahlbar. Atomstrom ist nur deshalb relativ günstig, weil die gesamten Kosten der Entsorgung der radioaktiven Abfälle keine Berücksichtigung in der Preiskalkulation der Atomkonzerne finden, sondern dem Steuerzahler aufgebürdet werden. Von Asse hat Herr Reuter scheinbar noch nie gehört. Hier müssen unsachgemäß gelagerte radioaktive Abfälle mit Milliarden Euro Steuergeld geborgen und neu "entsorgt" werden. Bloß wohin? In Deutschland gibt es noch kein sicheres Endlager für radioaktive Abfälle.

Zweites Argument: Unsere europäischen Nachbarn bauen weiter ihre Atomkraft aus, wir nicht. Wenn man dieser Argumentation folgen soll, dann müssen auch alle Nichtraucher in der Bundesrepublik mit dem Rauchen beginnen, weil ja viele unserer Mitbürger rauchen. Wir wollen doch nichts verpassen, zumal damit der Staatssäckel über die gestiegene Tabaksteuer saniert wird. Dass Rauchen tödlich sein kann, ist dann eben ein zu vernachlässigendes "Restrisiko".

Drittes Argument: Wenn wir ein Industrieland bleiben möchten, müssen wir auch mit immer wiederkehrenden "Pannen" auskommen. Sicherlich verfügt unser Energieberater a. D. im günstigsten Fall über einen ausgeprägten Verdrängungsmechanismus, ansonsten wäre dieses Argument an Zynismus nicht mehr zu überbieten. Ich möchte gerade als Anwohner in der Nachbarschaft von Cattenom kein zweites Tschernobyl erleben, dem Hunderttausende unmittelbar, sei es als Helfer oder mittelbar durch radioaktive Verstrahlung zum Opfer gefallen sind. Ganz zu schweigen von den Millionenschäden in der Landwirtschaft, verursacht durch die Giftwolke, die Westeuropa 1986 heimgesucht hat.

Fazit: Es ist unsittlich, an einer Technologie festzuhalten, deren Folgen im Extremfall nicht beherrschbar sind und an deren Konsequenzen alle nachfolgenden Generationen zu tragen haben.

Reiner Weber, Konz

energie

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