BILDUNG

Zum Artikel "Lehrer schlagen Alarm: Viele Schüler sind nicht mehr zu bändigen" (TV vom 2./3. März) und zu den Leserbriefen "Nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun" (TV vom 26. Februar) diese Zuschriften:

"Endlich!" möchte man ausrufen. Dieser Bericht war überfällig. Die Diskussionen um Schulsysteme, Schulorganisationen und Schulstandorte sind gut und richtig, aber der Kern der immer noch nicht gelösten, ich behaupte: sich verschärfenden Bildungsmisere wird damit nicht getroffen. Den findet man in den Klassenzimmern, dort wo in der Regel kein Bildungspolitiker respektive keine Kultusministerin unangemeldet erscheint, um überrascht oder auch entsetzt zurückzuweichen. Ich arbeite seit über dreißig Jahren in Klassenzimmern und das jahrzehntelang gerne, denn diese Arbeit ist im Gegensatz zu so manchen Tätigkeiten in der sich beschleunigenden Leistungsgesellschaft nicht nur zweckgerichtet, sondern vor allem sinnvoll und sinnstiftend. Was sich jedoch nach meiner Wahrnehmung in den vergangenen zehn bis 15 Jahren in Klassenzimmern aufgebaut hat, ist Außenstehenden kaum zu vermitteln. Es gibt in der Tat Klassen, die nicht oder kaum noch zu unterrichten sind, in denen bestenfalls eine Art von Einzelbetreuung unter Vernachlässigung der eigentlichen Aufgaben zu leisten ist, während, dadurch unkontrolliert, in anderen Ecken des Klassenzimmers Schüler (und mittlerweile vermehrt auch Schülerinnen) ihr eigenes Programm ablaufen lassen. Um nicht missverstanden zu werden, das ist gottlob noch nicht die Regel, aber es zeigen sich mehr und mehr Verhaltensauffälligkeiten, die zu einem Flächenbrandproblem werden können. Ohne Zweifel liegt die Hauptverantwortung - nicht Schuld! - bei den Eltern. Aber immer mehr unter ihnen sind durch verschiedene, ökonomisch verursachte Außenbedingungen (Leistungs-, Konkurrenz- und Konsumgesellschaft) ihrerseits überfordert. Hinzu kommt der dramatische Autoritätsverlust des Staates insgesamt, wovon Polizeibeamte und eben auch Lehrkräfte berichten können. Da es kaum möglich sein wird, den Verkauf elektronischer Ablenkungsgeräte zu verhindern, die das Problem verstärken, aber nicht verursachen, und da die Leistungsgesellschaft kräftig weiter leistet, muss der Hebel woanders angesetzt werden. Hier sind Geld und politischer Wille (deutlich kleinere Klassen, deutlich mehr Lehrkräfte und Sozialarbeiter, Ganztagsschulen mit Nachmittagsunterricht (sportlich oder musisch ausgerichtet), psychologisch positiv wirkende Schulgebäude, spezielle Schulen) einerseits notwendig, andererseits eine - warum nicht? - verschärfte Schulordnung (früherer Ausschluss, Geldbußen für säumige Eltern statt Erziehungsrecht Erziehungspflicht!) hilfreich. Letztlich zahlen wir alle - so oder so. Michael Wilmes, Ralingen Der TV berichtet von der immer größer werdenden Zahl von Unruhestiftern in Schulklassen und von überforderten Lehrern. Ein wichtiger Punkt wird in diesen Beiträgen nicht erwähnt. In den letzten Jahren werden zunehmend Schwerpunktschulen eingerichtet, an denen Kinder mit Förderbedarf zusammen mit Regelkindern unterrichtet werden sollen. An der Klassengröße wird nichts geändert. Ein zusätzlicher Lehrer soll diese Kinder unterstützen. Die Zahl der Kinder mit Förderbedarf ist unterschiedlich. Wenn die zusätzliche Lehrkraft ausfällt, muss sich der Lehrer auch um diese Kinder kümmern. Wie kann ein Lehrer einer solch unterschiedlichen Klasse von Schülern gerecht werden? Es bleiben vielleicht alle auf der Strecke. Die Förderkinder, weil sie ohne den zweiten Lehrer keine Chance haben, dem Unterricht zu folgen. Die Störenfriede, weil sie keiner zur Ordnung rufen kann, und letztlich die Kinder, die lernen wollen, weil der Lehrer sich verzettelt. Eine Lösung wären kleinere Klassen und Schulen, aber die Verantwortlichen scheinen der Meinung zu sein, je größer, desto besser und effizienter. Ob man mit diesen großen Einheiten den Kindern gerecht wird, scheint nicht so wichtig zu sein. Joachim Degen, Morbach Handlungsbedarf besteht ohne Zweifel - seit langem! Dass Schüler "neuerdings" anspruchsvoller im Hinblick auf einen interessant gestalteten Unterricht sind, glaube ich nicht. Die "Kids" trauen sich heute einfach mehr und versuchen gar nicht erst, die vielerorts auftretende Respektlosigkeit geschickt zu kaschieren. Es wäre seit Generationen sinnvoll gewesen, den "klassischen Frontalunterricht" durch mitarbeitsmotivierenden Unterricht zu ersetzen. Leichter gesagt als getan. Es wundert mich nur, dass hinsichtlich medial guter Ausstattung und gutem Zugang zum Internet die Schüler dermaßen "cool" sein können, was die Teilnahme am Unterricht angeht. Ist ihnen denn verborgen geblieben, welche unangenehmen Konsequenzen etwa der demografische Wandel haben wird? Oder sind sie schlichtweg noch nicht in der Lage zu erkennen, dass soziale Systeme wie das in unserem Land beispiellos gut funktionierende in wenigen Jahren nicht mehr finanzierbar sein könnten? Sollten die drohenden Konsequenzen gerade gegenüber Unterrichtsverweigerern deutlich kommuniziert werden? Störenden Mitschülern ohne erhobenen Zeigefinger klarzumachen, wie wertvoll dieser von der arbeitenden Bevölkerung finanzierte staatliche Service tatsächlich ist, würde vielleicht hier und da ein Umdenken verstärken. Und: Gerade verhaltensauffälligen Schülern sollte probeweise Verantwortung übertragen werden. Ernstgenommen werden, anerkannt werden - danach lechzen viele solcher auffälligen Jugendlichen. Etliche von ihnen drehen sich um 180 Grad, wenn sie eine echte Aufgabe bekommen. Kein Allheilmittel, aber ein aus meiner Sicht sehr wichtiger Bestandteil im Maßnahmen-Bausatz hin zu einer "anderen Schule". Manfred Rosar, Ralingen Dies ist der Versuch, mit der Erfahrung von 37 Jahren als Lehrer an einem Gymnasium zu den Leserbriefen vom 26. Februar zusammenfassend Stellung zu beziehen. Versetzung bedeutet, dass der Schüler in der nächsten höheren Klasse erfolgreich mitarbeiten kann. Sitzenbleiben das Gegenteil. Individuelle Förderung (siehe private Nachhilfe) hat ihre Grenzen und führt nicht automatisch zu den Leistungen, die am Ende eines Schuljahres (von einer Lehrerkonferenz) als ausreichend definiert werden. Mit der gleichen Logik wird mit der Teilnahme an einer Fahrschule automatisch der Führerschein erteilt. Sitzenbleiben war bisher immanenter Bestandteil des Schullebens. Ich kann deshalb nicht erkennen, wie dieses zugegebenermaßen für Betroffene unangenehme Ereignis diskriminierend ist. Vergleiche Schülersprache: Er drehte eine Ehrenrunde. Da Sitzenbleiben "diskriminiert" und damit zu Schäden in der persönlichen Entwicklung führen kann, muss auch das Überspringen einer Klasse abgeschafft werden, ebenso wie der von Eltern gewünschte freiwillige Rücktritt. "All men are created equal …" bedeutet nicht, dass alle Menschen das gleiche Leistungsvermögen haben, von der Leistungsbereitschaft ganz abgesehen, zwei Begriffe, die ich in den Leserbriefen vielleicht überlesen habe. Wolfgang Jöricke, Trier

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