Gesellschaft Chance vertan

Zum Artikel „Ausstellung zu jüdischem Leben in Trier und Deutschland“ (TV vom 19. Oktober) schreibt Dr. Thomas Schnitzler:

In seinem Beitrag über die Eröffnung der Wanderausstellung in der Trierer ADD beschreibt Thomas Roth ein „Dilemma“, das „sich an diesem Tag schon von außen“ an dem Sicherheitsaufgebot (der „drei Polizeiwagen“) am Eingang gezeigt habe. Warum schweigt er aber über das eigentliche Dilemma dieser an und für sich lobenswerten Veranstaltung?

Es begann damit, dass der ADD-Präsident als Hausherr unter den geladenen Gästen auch ausdrücklich und namentlich den Trierer Ratsfraktionsvorsitzenden und Landtagsabgeordneten der AfD begrüßte, also den prominentesten Stadtrepräsentanten jener Partei, deren Rechtsausschussvorsitzender im Bundestag, Stephan Brandner, tags zuvor durch Teilen eines antisemitischen Tweets die Weltöffentlichkeit geradezu geschockt hatte. Dass Thomas Linnertz diesen einzigen anwesenden Landtagsabgeordneten ohne Nennung seiner Partei begrüßte, mochte den Gepflogenheiten politischer Correctness ebenso entsprochen haben wie seine Einladung als demokratisch gewählter Abgeordneter (wo waren die anderen?). Was nicht in Ordnung gewesen ist und das Publikum in höchsten Maße irritiert haben dürfte, war der anschließende Verlauf der Podiumsdiskussion, die der besagte Parteivertreter von der ersten Prominentenreihe aus verfolgte, auf Augenhöhe sozusagen mit dem diskutierenden, wiederum von Linnertz moderierten Expertengespräch. Die Chance einer Sachkonfrontation über das problematisierte Ausstellungsthema wurde in einer geradezu grotesk anmutenden Art und Weise vertan. Während die Experten auf dem Podium – Dieter Burgard (Landesbeauftragter für jüdisches Leben und Fragen des Antisemitismus), Jeanna Bakal (Vorsitzende der jüdischen Kultusgemeinde Trier) und Avadislav Avadiev (Landesvorsitzender der Jüdischen Gemeinden) bildungspolitische Maßnahmen wie Intensivierung der Gedenkarbeit einforderten und Avadiev auch die statistisch erwiesene aktuelle Gefahrenlage der parteipolitischen Instrumentalisierung des Antisemitismus ansprach, saß der förmlich begrüßte Ratsvertreter, als ob ihn diese Debatte persönlich gar nichts anginge, von Anfang bis zum Diskussionsende ungefragt auf seinem Platz. Bedauerlicherweise vermieden die Experten dieser somit unvollständigen Diskussionsrunde, auf den rechtspopulistischen Diskurs seiner Partei über die angebliche Bedrohung des christlichen Abendlandes einzugehen, um ihn aufgrund einschlägiger Forschungen zu widerlegen.

Indem die mögliche Konfrontation und der ebenso mögliche sachliche Diskurs also ohne Not vermieden wurde, war die Vernissage dieser sehenswerten Ausstellung eine vertane Chance.

Dr. Thomas Schnitzler, Kulturverein Kürenz, seit 2005 beratender Historiker der Stolperstein-Gedenkaktion in Trier

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort