Leserbriefe Der Philosoph im Hinterhof

Zur Berichterstattung über das Karl-Marx-Jahr schreiben Eduard Pelzer, Dr. Dietmar Fickenscher, Hans-Joachim Selzer, Max Falk, Franz-Josef Nett, Karl-Heinz Graus, Paul Hallmanns und Ernst Hauer:

Gretchenfrage: Würde wohl Karl Marx heute folgenden Brief, der sich auf eine der aktuellen Situationen bezieht, wie sie in China durch das totalitäre Regime an der Tagesordnung sind, seinem chinesischen KP-Genossen und Ministerpräsidenten Jinping schreiben?

„Betr.: Yu Wensheng

Lieber Genosse,

am 19. April 2018 wurde die Inhaftierung von Yu Wensheng offiziell von der Behörde für öffentliche Sicherheit des Bezirks Tongshan in Xuzhou in der Provinz Jiangsu bestätigt. Ihm wird vorgeworfen, „zum Umsturz der Staatsmacht angestiftet“ und „die Arbeit von Staatsbeamten behindert zu haben“. Im Falle seiner Verurteilung könnte ihm eine 15-jährige Haftstrafe wegen „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsmacht” drohen.

Ich bin in großer Sorge über die Lage, in der sich Yu Wensheng derzeit befindet. Er wurde am 19. Januar 2018 von der Polizei abgeführt, als er seinen Sohn zur Schule bringen wollte. Nachdem er zunächst in Peking inhaftiert worden war, wurde er „an einem dafür vorgesehenen Ort unter Überwachung“ gestellt. De facto handelte es sich dabei um eine geheime Haft ohne Kontakt zur Außenwelt der Behörde für öffentliche Sicherheit im Bezirk Tongshan. Yu Wensheng hatte während seiner gesamten Inhaftierung nicht ein einziges Mal die Möglichkeit, seine Familie oder die Rechtsbeistände seiner Wahl zu treffen.

Dem Strafprozessrecht der Volksrepublik China zufolge kann die Polizei den Zugang von Rechtsbeiständen zu Gefangenen für die Dauer von bis zu sechs Monaten verbieten. Das gilt für Fälle, in denen sie die „nationale Sicherheit gefährdet“ sieht und erhöht die Gefahr für die Gefangenen, Folter und anderen Formen der Misshandlung ausgesetzt zu sein. Yu Wensheng ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der nur aufgrund der Ausübung seines Rechts auf Meinungsfreiheit festgenommen wurde.

Lieber KP-Genosse, mit großer Sorge verfolge ich die Situation von Yu Wensheng. Deshalb wende ich mich heute an Dich: Bitte setze Dich dafür ein, dass Yu Wen­sheng umgehend und bedingungslos freigelassen wird, da er sich nur in Haft befindet, weil er sein Recht auf freie Meinungsäußerung friedlich ausgeübt hat. Sorge bitte dafür, dass er Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl und seiner Familie erhält. Stelle sicher, dass Yu Wensheng weder gefoltert noch in anderer Weise misshandelt wird.

Hoch lebe die Internationale!

Dein Karl Marx“

Eduard Pelzer, Irrel

Anlässlich des 200. Geburtstags wird Karl Marx überschwänglich als größter Sohn der Stadt Trier bezeichnet. Eine objektive, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den umstrittenen Marx’schen Hypothesen und seiner rassistischen, antisemitischen Einstellung findet nicht statt. In seinen Hauptwerken („Das Kapital“, „Manifest der Kommunistischen Partei“) analysiert Marx die ökonomischen, gesellschaftspolitischen Verhältnisse seiner Zeit und ruft zum „gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung“ auf. Aufgrund seiner Studien ist Marx überzeugt, dass nur durch die Anwendung von Gewalt ökonomische und politische Veränderungen zu erreichen sind. Diese Marx’sche Hypothese wurde unter anderem durch Mahatma Gandhi und die Bürger der DDR widerlegt. Ohne Gewaltanwendung wurden die koloniale britische Fremdherrschaft über Indien und 1989 die kommunistische Diktatur der DDR beseitigt.

Rechte und gleichermaßen linke Diktaturen verweigern den Menschen das elementare Recht auf Freiheit. Karl Marx forderte die Errichtung der Diktatur des Proletariats. Charakteristisch für Diktaturen ist die Aufstellung gigantomanischer Personenkult-Statuen. Aus politisch-weltanschaulichen Gründen erhält Trier vom kommunistischen Einparteienstaat China ein Marx-Kolossaldenkmal geschenkt. Die Annahme, Aufstellung der monumentalen Marx-Statue ist ein Kotau der Stadt Trier vor dem Begründer des dialektischen Materialismus, vor dem Gewalt und Diktatur zur Durchsetzung politischer Ziele propagierenden Kommunisten Karl Marx.

Dr. Dietmar Fickenscher, Pellingen

Liebe Trierer, eure Diskussionen über die Person Karl Marx nerven!

Wohl kaum ein Chinese weiß oder will wissen, wie Marx mit seiner Frau, seiner Familie  umgegangen ist, dass er sich antisemitisch geäußert hat oder zu sonstigen persönlichen Schwächen neigte. Bei dem chinesischen Geschenk (Statue) geht es schlicht und einfach um seine Philosophie des Kommunismus und Kampf gegen den Kapitalismus. Unterstellt den Chinesen jetzt nicht, irgendetwas mit dem Geschenk der Marx-Statue negativ bezwecken zu wollen – dieser Hintergedanke  wäre eine Beleidigung.

Das Gewesene gehört in die Mottenkiste der Geschichte, darüber braucht man nicht mehr intellektuelle Haarspalterei betreiben. Dass seine Philosophie von politischen Egomanen und Psychopathen missbraucht und somit viel Leid in die Welt gebracht wurde, kann man Marx nicht anlasten.

Wichtiger wäre darüber zu diskutieren, wie viel Elend und Leid der  Kapitalismus heute in der Welt verursacht. Wie zum Beispiel die Finanzwirtschaft die Politik neoliberal bestimmt, wie Konzerne wegen Gewinnmaximierung Mitarbeiter entlassen, Überstunden nicht bezahlt werden und Mitarbeiter gezwungen werden, auf Weihnachtsgeld zu verzichten (Beispiel Karstadt, damit der Milliardär Berggruen noch mehr Geld raussaugen kann und später das Unternehmen  zerschlägt). Hatte Marx mit seiner Philosophie nicht doch recht?

Systeme wie Gemeinwohlökonomie, solidarische Ökonomie, Monetarismus, Freiwirtschaft oder die Philosophie „Economy for Mankind“ – auf Deutsch: „Ökonomie für die Menschheit“ – werden diskutiert, wobei die letztere konkrete, praktische Lösungen für die Probleme dieser Zeit aufzeigt, denn dieses Zeitalter der Digitalisierung wird gravierende politische und gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringen.

Trierer, seid mal locker und nehmt dieses Geschenk ohne verkorkste Hintergedanken an, stellt diese Statue nicht in die hintere Ecke beim Museum, sondern werbewirksam auf den Hauptmarkt oder vor die Porta Nigra und schlagt aus dem Vertreter des Antikapitalismus Karl Marx richtig Kapital – die Trierer Stadtkasse kann es dringend gebrauchen.

Hans-Joachim Selzer, Bernkastel-Kues

Eben durfte ich eine interessante und spannende Woche in der sehenswerten Stadt Trier verbringen. Befremdend wirkten auf mich die Transparente über den Straßen „Wir sind Marx“. Vielen Leserbriefen in Ihrer Zeitung habe ich entnommen, dass der Hype um den Genossen, vor allem auch das Geschenk der Chinesen, nicht bei allen Trierern auf Zustimmung stößt. Ja, man kann darüber geteilter Meinung sein – doch die Transparente sind des Guten zu viel!

Entschuldigen Sie die Einmischung aus der Schweiz, aber ich musste es einfach loswerden!

Max Falk, Neuhausen am Rheinfall

In einem der Artikel zum Marx-Jubiläum brüstet sich das SPD-Mitglied (!) Thomas Barkhausen aus Bitburg, das „Kapital“ von Marx nicht gelesen zu haben; offenbar findet Herr Barkhausen es schick, die eigene Ignoranz auch noch auszustellen. Gleichzeitig behauptet er, „das versteht doch kein Mensch, was der geschrieben hat“. Dazu fällt mir nur der wunderbare Aphorismus von Georg Christoph Lichtenberg ein: „Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?“

Franz-Josef Nett, Gerolstein

Die Falun-Gong-Anhänger haben in Trier auf eine ungeheuerliche Tatsache aufmerksam gemacht: auf den angeblichen Organraub bei lebenden Menschen in China. Sollte an den Informationen etwas dran sein, dann wäre die Annahme des Geschenks der Karl-Marx-Statue von ebendiesem China eine Schande für die Stadt Trier! Und zugleich müsste man der Bundesregierung vorwerfen, dass sie zu diesen Verbrechen schweigt!

Karl-Heinz Graus, Konz

Ein Schweigemarsch. Die AfD marschiert auf. Nicht verwunderlich, dass die aufmarschieren. Klingt ja ein bisschen nach früher, diese Rummarschiererei. Stopp! Ich muss mir auf die Finger hauen – keine plumpen Nazivergleiche; die führen zu nichts. Und viel schlimmer noch: Dann mache ich das Gleiche, was die AfD und die Veranstalter dieses Schweigemarsches tun. Ich werde unwissenschaftlich, ich werde plakativ und  zu allem Überfluss noch historisch inkorrekt. Zugegeben, der Veranstaltungstitel „Marx vom Sockel holen“ ist fast charmant, wäre da nicht dieser Untertitel: „Kommunismusopfer nicht vergessen!“ Zu deren Gedenken marschierte die AfD nämlich schweigend. Leider missachtete sie dabei die Deplatzierung ihres Opfergedenkens. Karl Marx ist so wenig Freund des gewalttätigen Regimes unter seiner Fahne, wie er Freund des Karl-Marx-Brotes der Biebelhausener Mühle ist. Es ist historisch falsch, ihm das zu unterstellen und noch viel schlimmer, es auch noch publik zu machen!

Drei Zahlen nur: Marx ist 1883 gestorben, die Oktoberrevolution (für die AfD, so denke ich, der Anfang der Gewaltherrschaft unter Marx‘ vermeintlichem Vorbild) fand 1917 statt. Immerhin 34 Jahre, in denen Marx schon lange tot war, bevor es in Russland so richtig losging.

Marx kann man kritisieren, ich tue das nicht, aber die AfD könnte es; sie könnte es wissenschaftlich! Für gebildete Erzkonservative bietet die AfD schließlich auch die passenden, wirtschaftspolitischen „Alternativen“, die im starken Kontrast zu Marx‘ Idee stehen. In ihren Reihen finden sich die einen oder anderen Ökonomen, denen diese Kritik ein Spaß wäre. Wieso geschieht das nicht?

Hat die AfD  Angst, dass eine wirkliche, theoretische Auseinandersetzung mit der Arbeit von Karl Marx ihre Maske abreißt und sie als Gesellschaftsfeinde entlarvt? Sie zieht sich wieder in den Mantel der Unsittlichkeit zurück, menetekelt vor sich hin und vergiftet jene, die auf ihren Unsinn keine Lust haben. Sie macht uns alle nur dümmer mit ihrem Unfug!

Paul Hallmanns, Wiltingen

Der Biograf Jürgen Neffe zitiert Wilhelm Liebknecht: „Nach seinem Tod wollte Karl Marx kein Denkmal haben.“ Neffe fährt fort: „Nichts Statisches zeichnet seine eigentliche Leistung aus, nichts, was sich in Stein meißeln oder in Form gießen ließe, sondern die Einsicht in eine Art von Bewegung, die über die Geschichte der Menschheit bestimmt.“

Der Wille des Verstorbenen wird nicht respektiert, auch in seiner Geburtsstadt Trier nicht. Karl Marx wird auf einen Sockel platziert, den er sicher nicht unter sich haben wollte, als der ökonomische Philosoph, der das Elend der Massen erlebt hat und die Macht des Kapitals aufs Trefflichste analysierte. Der ungeliebte Sohn der Stadt wird auf einen Trierer Hinterhof gestellt. Tröstlich ist, dass der Bildhauer ihn in einer dynamischen Pose darstellt. Karl Marx auf dem Weg aus der Stadt. Seinen Blick zur Mosel gerichtet, so wie er das auch nach seinem Abitur getan hat. Die Stadt hat er per Schiff umgehend in Richtung Bonn verlassen. Er ist nur wiedergekommen, um Jenny von Westphalen zu heiraten und das elterliche Erbe in Empfang zu nehmen. Holen wir Karl Marx vom Sockel der Verfälschungen herunter und sehen ihn als das, was er war: ein hellsichtiger philosophischer Ökonom, an dem sich auch nach 150 Jahren „Kapital“ den Kritikern noch das Gehirnschmalz verrunzelt. Das Kommunistische Manifest, ein Meisterwerk des kritischen Verstandes, bleibt uns.

Jenny Marx, die Frau an seiner Seite, ohne die es sein Werk und das gedruckte Kapital in lesbarer Schrift nicht gegeben hätte, und das Werk von Karl Marx in einer Meta-Ausstellung ehren wollte der Verein Kunstdünger e.V. Trier. Durch zeitgenössische Künstler sollten Skulpturen entstehen. Skulpturen, die sich auf einer anderen als der figürlichen Ebene mit dem Werk von Karl Marx auseinandersetzen. Die Stadt und die angeblich leeren Beutel der Sponsoren verhinderten es. Die Kosten weitaus geringer als der halbe Sockel. Keine Möglichkeit für die zeitgenössische bildende Kunst, sich mit Karl Marx auseinanderzusetzen. Jetzt dürfen die Trierer aus dem monumentalen chinesischen Kuckucksei den maximalen Profit als beschenkte Erben ziehen. Stellen sie doch damit den Profit, die Kosten-Nutzen-Rechnung, wieder auf die städtischen Beine.

Die Büste von Jenny Marx, der Frau an seiner Seite, die einen erheblichen intellektuellen Anteil am Werk hat, ihn durch sein persönliches ökonomisches Desaster begleitet hat, gilt es noch zu würdigen. Ob sich diese Herzensangelegenheit vom Verein Kunstdünger wohl noch realisieren lässt? Sponsoren aller Länder, vereinigt euch – für eine Büste von Jenny Marx!

Ernst Hauer, Trier

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