Die Grenzen der Vernunft und des Fortschritts

Zur Katastrophe in Japan und zum Streit über die Atomenergie in Deutschland:

Was hat der Philosoph Immanuel Kant mit dem Super-Gau von Fukushima zu tun? Auf den ersten Blick nichts. Kants Kategorischer Imperativ besagt, dass jeder Mensch seiner selbst gesetzten Pflicht gemäß handeln solle, dabei aber beachten müsse, dass dies als Grundlage für einen allgemein gültigen Werte- und Verhaltenskodex gelten könne. Die oberste Pflicht für jeden Menschen sei es, "vernunftgemäß" zu handeln, und "vernünftig" handeln heiße "guten Willen" zu haben und zu zeigen. Dieser sei das "absolut Gute".

Ab hier verlasse ich Kant und leite weiter ab: Was ist das "absolut Gute" denn anderes als das Leben selbst? Vernünftig, also ethisch-moralisch gut, handelt nur der, der alles tut, um Leben zu erhalten, seines und das anderer. Das Leben als solches ist die höchste Qualität.

Jetzt folgt der zweite Blick: Beachten Atombetreiber diese Maxime? Nein! Ihnen geht es zum einen um technisch-funktionale Ratio, um wirkungsoptimales Handeln zur Effizienzgewährleistung und -steigerung des (Atomkraft-) Systems, zum anderen um Akkumulation von Kapital. Das ist hier - und generell in den kapitalistischen Gesellschaften - das "absolut Gute". Der technisch-funktionale, rationale Aspekt gilt im Übrigen für alle Systeme.

Ich erlaube mir einen schlimmen Vergleich: Auch Konzen trationslager wurden rational und effizienzorientiert geführt. Die Wirkung beziehungsweise das "Produkt" waren Millionen von Toten und Leidenden. Ganz ohne Zweifel war das nicht vernünftig, also ethisch-moralisch "gut" im oben genannten Sinn. Vernünftig und rational zugleich handelt zum Beispiel ein Arzt, der die richtige Diagnose stellt und die angemessene Therapie anwendet, um Leben zu erhalten. Atomkraftwerksbetreiber sind aber keine Ärzte, sondern technikorientierte Kapitalisten. Sie handeln nicht, um die gesamte Menschheit zu beglücken.

Ich kann mich an Zeiten erinnern, da lebten wir auch ohne Atomstrom nicht schlecht, aber unter der Dauerfurcht vor einem Atomkrieg. Nicht erst seit Fukushima ist klar, dass diese Sorte Menschen (auch im kantschen Sinne) nicht vernünftig handelt. Der Begriff "Fortschritt" bekommt auch für Menschen, die bislang der (Atom-)Technik offen gegenüberstanden, eine negative Bedeutung. Also: Schluss damit! Und zwar schnellstmöglich.

Michael Wilmes, Ralingen



Atomdebatte

Die Grenzen der Vernunft und des Fortschritts

Was hat der Philosoph Immanuel Kant mit dem Super-Gau von Fukushima zu tun? Auf den ersten Blick nichts. Kants Kategorischer Imperativ besagt, dass jeder Mensch seiner selbst gesetzten Pflicht gemäß handeln solle, dabei aber beachten müsse, dass dies als Grundlage für einen allgemein gültigen Werte- und Verhaltenskodex gelten könne. Die oberste Pflicht für jeden Menschen sei es, "vernunftgemäß" zu handeln, und "vernünftig" handeln heiße "guten Willen" zu haben und zu zeigen. Dieser sei das "absolut Gute". Ab hier verlasse ich Kant und leite weiter ab: Was ist das "absolut Gute" denn anderes als das Leben selbst? Vernünftig, also ethisch-moralisch gut, handelt nur der, der alles tut, um Leben zu erhalten, seines und das anderer. Das Leben als solches ist die höchste Qualität. Jetzt folgt der zweite Blick: Beachten Atombetreiber diese Maxime? Nein! Ihnen geht es zum einen um technisch-funktionale Ratio, um wirkungsoptimales Handeln zur Effizienzgewährleistung und -steigerung des (Atomkraft-) Systems, zum anderen um Akkumulation von Kapital. Das ist hier - und generell in den kapitalistischen Gesellschaften - das "absolut Gute". Der technisch-funktionale, rationale Aspekt gilt im Übrigen für alle Systeme. Ich erlaube mir einen schlimmen Vergleich: Auch Konzen trationslager wurden rational und effizienzorientiert geführt. Die Wirkung beziehungsweise das "Produkt" waren Millionen von Toten und Leidenden. Ganz ohne Zweifel war das nicht vernünftig, also ethisch-moralisch "gut" im oben genannten Sinn. Vernünftig und rational zugleich handelt zum Beispiel ein Arzt, der die richtige Diagnose stellt und die angemessene Therapie anwendet, um Leben zu erhalten. Atomkraftwerksbetreiber sind aber keine Ärzte, sondern technikorientierte Kapitalisten. Sie handeln nicht, um die gesamte Menschheit zu beglücken. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da lebten wir auch ohne Atomstrom nicht schlecht, aber unter der Dauerfurcht vor einem Atomkrieg. Nicht erst seit Fukushima ist klar, dass diese Sorte Menschen (auch im kantschen Sinne) nicht vernünftig handelt. Der Begriff "Fortschritt" bekommt auch für Menschen, die bislang der (Atom-)Technik offen gegenüberstanden, eine negative Bedeutung. Also: Schluss damit! Und zwar schnellstmöglich. Michael Wilmes, Ralingen

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