Forum Die Kunst des Müßiggangs

Auf Sex verzichten oder aufs Smartphone? Hmm.

 Peter Reinhart

Peter Reinhart

Foto: TV/Klaus Kimmling

Sie sind genervt? Sie sind gestresst? Sie sind zappelig? Hmm. Könnte mit diesem Internet-Dings zu tun haben. Könnte sein, dass FOMO die Ursache ist – die erste Social-Media-Krankheit. Sie breitet sich wie ein Virus in der digitalen Gesellschaft aus. FOMO bedeutet: Fear of missing out, zu Deutsch: Angst, etwas zu verpassen.

Besonders anfällig für eine Infektion ist die Generation Z. Junge Menschen, anscheinend verwachsen mit ihrem Smartphone, die den halben Tag auf Facebook oder sonstwo im Netz abhängen, die ziellos herumsurfen, die sich sorgen, dass sie nicht mitbekommen, was ihre Freunde treiben. Rast- und ruhelos auf der Jagd nach (scheinbar) wichtigen Posts und Nachrichten. Die nie abschalten, die immer erreichbar sind. Überall und jederzeit. Beim Lernen, beim Arbeiten, beim Essen, beim Autofahren, beim ...

Jeder Fünfte würde einer Studie zufolge eher auf Sex verzichten als auf sein Suchtgerät.

Die Diagnose: zwanghaft abhängig von digitalen Medien.

Die Therapie: Manche merken, dass sie ihre Zeit verplempern. Sie springen ab vom Suchtkarussell. Die Gegenbewegung zu FOMO nennt sich JOMO: Joy of missing out, zu Deutsch: die Freude, etwas zu verpassen. Seid achtsam! Gönnt euch öfter mal eine Auszeit! Legt das Smartphone beiseite! Zieht den Stecker! Lasst die Seele baumeln! Gebt euch dem süßen Nichtstun hin! Übt euch in der Kunst des Müßiggangs!

Stress wegen der ewigen Hatz,  Sehnsucht nach Entschleunigung – das gab’s auch in der analogen Welt. Die industrielle Revolution zum Beispiel brachte eine zuvor unbekannte Dynamik in das Leben der Menschen. Plötzlich war die Moderne da. Und alles anders. Tempo, Tempo, Tempo.

Der zivilisationskritische Schriftsteller Hermann Hesse (1877-1962) bewunderte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Mentalität der Bewohner des Morgenlands: „Diese Leute haben Zeit! Massen von Zeit! Sie sind Millionäre an Zeit, sie schöpfen wie aus einem bodenlosen Brunnen, wobei es auf den Verlust einer Stunde und eines Tages und einer Woche nicht groß ankommt.“ Göttlicher Müßiggang, purer Luxus: „Bei uns, im armen Abendland, haben wir die Zeit in kleine und kleinste Teile zerrissen, deren jeder noch den Wert einer Münze hat.“

Ähnlich argumentieren heute die Achtsamkeits-Apostel und ­JOMO-Jünger: Zeit ist unser kostbarstes Gut! Nutze den Tag! Freue dich, wenn du etwas verpasst!

Herzliche Grüße!

Peter Reinhart

Stellvertretender Chefredakteur

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