leserbriefe Die Party läuft doch gut – warum also die Musik abdrehen?!

Zur Berichterstattung über Wetter und Klima schreiben Helmut Körlings und Harald Thielen-Redlich:

Es ist, leider muss man das sagen, immer wieder das Gleiche – ob im einfachsten, im zwischenmenschlichen Bereich, ob in der Politik oder auch in dem, was derzeit am dringendsten nach einer (positiven) Entscheidung ruft, ja drängt. Und damit in der Rangstufe der Medienpräsenz ganz oben steht!

Ich meine – Beispiel eins – die Hitzekatastrophe, mit der einem erschreckend großen Teil unseres Volkes – den landwirtschaftlich Tätigen – ein ziemlich direktes und brutales „Aus“ droht. Schon klar: Das Szenario gab‘s schon wiederholt – ohne dass ein wirklich stichhaltiges Gegenmittel auch nur ernsthaft erwogen worden wäre!

Dass es möglich gewesen wäre, in einer agrarwissenschaftlichen einigermaßen passenden Konjunktur den Aufbau eines „Notgroschens“ anzugehen, ist gar keine Frage: Von den teils satten Einnahmen der Landwirtschaft – beispielsweise auf dem Fleischsektor eine geringe Zwangsabgabe für schwächere Zeiten zu erheben, wäre sicher möglich (das wahrscheinlich ohrenbetäubende Protestgeschrei der Branche hätte man überlebt.) Aber: Es geschah nichts, was auch nur den Anschein von Vorsorge gehabt hätte. Außer, wie auch jetzt, in der aktuellen Notlage, die Forderung nach einer staatlichen Milliardensumme – der Steuerzahler möge es richten!

Beispiel zwei: Das derzeitige ziemlich beispiel- und sinnlose Reisefieber der Deutschen. Hauptsache: weg aus dem hitzegeplagten Mitteleuropa! Auch, wenn die Luftverkehrsbranche kaum noch mitspielen kann, auch wenn die Touristik-Infrastruktur (weltweit) aus dem letzten Loch pfeift. Dabei ist – drohender Klimawandel hin oder her – das nächste „klamme“ Jahr absehbar, in dem von der Energieverteilung bis zu den Bettenburgen alle Welt über rote Zahlen stöhnt. Ein weiteres Mal fragt man sich dann: Muss das Loch in der Touristikindustrie wieder einmal  vom Steuerzahler gedeckt werden? Das sehe ich anders: Sollten nicht die Urlauber, die sich heute frisch-fromm-fröhlich-frei auf dem gesamten Globus jedwede Urlaubsfreude gönnen ( können ), einen zweckgebundenen Obolus in die Staatskasse zahlen – ob mit oder ohne Protestgeschrei?

Helmut Körlings, Traben-Trarbach

Thomas Roth kritisiert in seinem Kommentar „Klimawandel – und der Druck der Wissenschaft“ (TV vom 11./12. August) die neueste Veröffentlichung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), die vor den Kipppunkten des Klimasystems warnt. Dabei stimmen die Autoren mit ihm überein, dass niemand sagen kann, ob und wann die Kipppunkte überschritten werden. Das versteht jeder, der einmal auf einer Schaukel gesessen hat. Dass exakte Prognosen für den Fall jenseits der Kipppunkte „höchst umstritten“ sind, ist von da her nicht ungewöhnlich und macht die Kipppunkte nicht weniger gefährlich. Ein Zweifel an ihrer Existenz steht außerhalb jeder wissenschaftlichen Diskussion. Und wer sich die Temperaturentwicklung der Erde ansieht, erkennt leicht, dass wir uns diesen Kipppunkten mit einigem Tempo nähern.

Die Fossilindustrie bestimmt die öffentliche Meinung und die Politik. Superreiche Investoren haben sich die Zugänge zu fossilen Brennstoffen aufgeteilt und verteidigen diese durch massive politische Einflussnahme. Politiker scheuen sich nicht, zum Zwecke des Ölflusses die Ausbeutung von Mensch und Umwelt zu legitimieren und belassen ihre Bürger in einer gefährlichen Energie-Abhängigkeit. Sie unterstützen notfalls brutale Kriege, um die Versorgung zu sichern. Putin, Trump und Saud teilen gerade die Öl-Claims neu auf. Und die Bewohner der Industrieländer wollen nicht verzichten, sondern nehmen jedes noch so verzichtbare Schnäppchen unreflektiert mit. Im 20. Jahrhundert konnte man noch erzählen, zur Schaffung von Wohlstand seien Fossilbrennstoffe und Atomkraft die günstigsten Energiequellen. Aber dass die Erforschung von Solarzellen, Windrädern und Akkus so lange vernachlässigt wurde, hat sicher auch mit interessengeleiteter Energie-Politik zu tun. Zur Jahrtausendwende war es nach unzähligen Anstrengungen engagierter Wissenschaftler, Ingenieure und auch Bastler endlich so weit: Erneuerbare Energien wurden mit Subventionen konkurrenzfähig, und visionäre deutsche Politiker sahen es als ihre Verantwortung, der Volkswirtschaft diese Subventionen zuzumuten: Das EEG erwies sich als eine höchst effektive Subventions-Maßnahme, gemessen an ihren Kosten. Die Preise für Windräder und Photovoltaik liegen heute bei einem kleinen Bruchteil der ersten Jahre, und eine Kilowatt-Stunde aus erneuerbaren Quellen kostet weniger als jede andere. Der Erfolg des EEG hat selbst die größten Pessimisten überrascht. Nach Dänemark und Deutschland zeigen heute China, Kalifornien und sogar Entwicklungsländer, dass erneuerbare Energien konkurrenzfähig sind – und zwar gegen konventionelle Techniken, die von der Zerstörung der Welt profitieren und die Kosten den kommenden Generationen überlassen.

In Deutschland, dem Energiewende-Land, haben allerdings Gegenkräfte das Ruder übernommen und die Kehrtwende geschafft, möglich durch eine erfolgreiche Kampagne industrienaher Politiker und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die die Erneuerbaren als unwirtschaftlich darstellt, und durch Medienarbeit von Klimaskeptikern, die die Gefahren des Klimawandels verharmlosen. Wo sich hier irgendwelche politisch verblendeten Klima-Wissenschaftler durchgesetzt haben sollen, müsste mir Herr Roth erklären, denn ich sehe das überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil vernichtet die Energie-Kehrtwende in Deutschland weit mehr Arbeitsplätze, als die Kohleindustrie noch bietet.

Die 180-Grad-Wende, die Herr Roth dem Leser als unzumutbar präsentiert, wird natürlich nicht kostenlos sein. Wenn ich gut situierten Mitbürgern von meinem Elektroauto, PV, grünem Strom, Niedrigenergiehaus, Flugverzicht et cetera (und einem ansonsten eher sparsamen Lebenswandel) erzähle, höre ich immer wieder, dass sich die Energiewende rechnen müsse. Wenn sie das täte, würde natürlich jeder gerne umsteigen. Die Politik muss sich fragen, ob große Teile der exorbitanten Gewinne aus unserem Wirtschaftssystem nicht zum Wohle aller umverteilt werden können. Zum Beispiel müsste die Volkswirtschaft bei der richtigen Politik nur einen Bruchteil für Wohnen aufbringen und könnte stattdessen investieren: in umweltverträglichere Energie (saisonale Gasspeicher – dann wird auch eine sommerliche Überproduktion billigen Solarstroms rentabel), Mobilität (Vorrang für Fahrrad und ÖPNV, E-Mobilität) – und ja, Herr Roth, auch Ernährung (mehr Bio, weniger Fleisch). Anpassung an Klimawandel funktioniert umso besser, je stabiler die Ökosysteme sind.

Um die Erde zu retten, wird Innovation und Umverteilung nicht reichen: Massiver Verzicht ist unumgänglich. Das Problem ist, dass Verschwendung – im Gegensatz zu anderen Lastern – allgemein akzeptiert ist, ja sogar gefördert wird.

Herrn Roths Kommentar erscheint mir allzu billig: Die Ölparty läuft doch gut, also warum die Musik abdrehen, nur weil ein paar Forscher schlechte Stimmung verbreiten? Vielen dämmert, dass eine drastische Energie-, Verkehrs- und Ernährungswende in Wirklichkeit die einzig verbliebene Alternative ist. Und dass uns jeder Tag des Zögerns die Notwendigkeit einer Kehrtwende immer schmerzhafter vor Augen führen wird. Denn dass eine globale Erwärmung Realität würde, war in der Klimaforschung schon seit Mitte des letzten Jahrhunderts objektive Lehrmeinung.

Harald Thielen-Redlich, Nimshuscheid

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