Finanzen Die Rückkehr der Raubtierkapitalisten

Zum Artikel „Europas Fahrplan für den Wiederaufbau“ (TV vom 28. Mai) und weiteren Beiträgen zum Thema schreiben Horst Schorle und Rolf Linn:

Nun also doch! Mit zusätzlichen 750 Milliarden Euro pumpt die Europäische Union weitere immense Summen in die nicht nur durch die Corona-Krise gebeutelten Südstaaten und Frankreich, das inzwischen gleichfalls auf sehr wackligen Beinen steht. 500 Milliarden werden davon als für die Gemeinschaft verlorene Zuschüsse gewährt. Das ist verklausuliert die Tür zur Gesamtschulden-Union und verstößt eklatant gegen die Europäischen Verträge, wie schon die Aufkäufe gigantischer Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB).

Es werden immer wieder die gemeinsamen Werte Europas betont und die Wichtigkeit des wirtschaftlichen Zusammenhalts gegenüber China und den USA beschworen, aber Europa ist keine politische Union, und genau deshalb regieren nationale Egoismen in den bekannten Formen.

Polen, Ungarn, Tschechien lehnen eine gemeinsame Migrationspolitik ab, Südstaaten benutzen die Niedrigzins-Politik der letzten Jahre zur weiteren exorbitanten Staatsverschuldung ohne erkennbaren Gegenwert (warum sollte sich dies zukünftig ändern?). Arbeits-, Renten-, Steuer- und Wirtschaftspolitik der einzelnen europäischen Länder können gegensätzlicher nicht sein.

Dass das eine oder andere Land das Recht nach eigenem Gusto beugt und versucht, die Judikative somit auszuhebeln, spricht nicht gerade von verinnerlichten Werten. Es rächt sich einmal mehr, dass man das kleine Haus Europa (Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Staaten) am Anfang nicht gleich als eine politische Union gegründet hat. Wie weit könnten wir mittlerweile sein!

Das Geld, das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in dieser Situation in die Hand nehmen will, ist keine Reserve der EU oder einzelner Staaten, sondern es sind Kredite, aufgenommen auf dem freien Kapitalmarkt, also genau bei den Finanzunternehmen, die vor zehn Jahren die Welt fast in den Abgrund gestürzt haben und bis heute als einflussreiche Lobbyisten in Brüssel ein und aus gehen. Sie beraten die EU nicht nur in finanzpolitischer Hinsicht, sondern sind bei der Formulierung von europäischen Gesetzen meist von Anfang an beteiligt.

Diesen Akteuren, Helmut Schmidt nannte sie einst Raubtierkapitalisten, liefert man nun 450 Millionen Bürger und 27 Staaten bedingungslos aus.

Man stelle sich nur vor, die EU kommt bei jenen Kapitalgebern in Zahlungsschwierigkeiten. Wie wird dann der Einfluss solcher Tycoons auf unser aller Leben werden? Das ist nicht nur eine Horrorvorstellung, sondern auch eine große Gefahr für unsere Demokratie. Es bleibt zu hoffen, dass einige besonnene Länder dieser verhängnisvollen Politik einen Riegel vorschieben.

Horst Schorle, Ingendorf

Zum Artikel „Wie viele Schulden kann sich Deutschland leisten?“ (TV vom 30./31. Mai/1. Juni):

Wie schön: Bei steigender Wirtschaftsleistung werde Deutschland mit der Zeit einfach aus seinen Schulden rauswachsen (Martin Beznoska vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln). Nur: Unendliches Wachstum ist im endlichen System Erde nicht möglich. Die Klima-Erwärmung zeigt, dass wir dabei sind, an der Grenze der Belastbarkeit anzukommen. Nur durch entschlossenes Umsteuern unserer Wirtschaftsweise kann eine Katastrophe vermieden werden: durch Kreislaufwirtschaft ohne CO2 und ohne materielles Wachstum. Wir brauchen eine Weiterentwicklung der Marktwirtschaft, zum Beispiel nach den Ideen der Gemeinwohl-Ökonomie von Christian Felber. Statt sinnlosem Konsum mehr Zeit für Familie, Freunde, Hobby, Kultur, Ehrenamt wäre doch auch nicht schlecht. Die genannte Umstellung ist schwierig und braucht Zeit. Deshalb ist es wichtig, sofort anzufangen und dies bei allen Maßnahmen zur Erholung aus der Corona-Krise zu berücksichtigen. Statt Kaufprämien für überholte Produkte in zukunftsorientiertes Wirtschaften investieren!

Rolf Linn, Trier

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