Leserbriefe Die Ursachen der Radikalisierung

Zur Berichterstattung über Armut in Deutschland schreibt Daniel Karl:

Neulich am Bahnhof Koblenz: Eine ältere Frau spricht mich an und bettelt um Geld. Ihre Rente liege gerade über der Grundsicherung, und sie müsste betteln, damit sie ihre Wohnung halten könne.

Vater Staat hat versagt! Warum? Ein wesentlicher Grund wird seit über 25 Jahren tabuisiert. Durch die deutsche Wiedervereinigung wurden über 16 Millionen DDR-Bürger in ein Renten-, Sozial- und Gesundheitssystem integriert, in das sie nie einen Pfennig einbezahlt haben. Die DDR war bereits in den 80er Jahren pleite und wurde mit westdeutschen Krediten am Leben gehalten. Geerbt wurden nur Schulden. Es fehlen volkswirtschaftlich 40 Beitragsjahre.

Die Übernahme von Millionen Leistungsempfängern konnte nur durch massive Leistungseinschränkungen für alle Bürger bei Gesundheit, Rente und Soziales aufgefangen werden, zusätzlich stabilisiert der Staat das System inzwischen mit über 90 Milliarden Euro pro Jahr.

Man fürchtete den Ost-West-Konflikt, deshalb tabuisierte man die Gründe: Die Globalisierung war schuld. Dieses Tabu bewirkt zweierlei: Erstens kann man Probleme nur lösen, wenn man sie offen ausspricht, und daher gibt es bis jetzt keine Lösung. Die Mütterrente, in ihrer Genese Ausdruck der katholischen Soziallehre trierischer Prägung, ist ein verspäteter Ansatz, aber nicht ausreichend.

Zweitens bewirken Tabus eine politische Radikalisierung der Gesellschaft. Menschen in Ost und West wird seit 1990 eine falsche Erwartungshaltung eingetrichtert, als hätte es 40 Jahre Kommunismus nicht gegeben. Überzogene Erwartungen führen zu Enttäuschung und Frust. Dieser Frust ist eine der Ursachen der politischen Radikalisierung vor allem im Osten, Linkspartei und AfD sind die Profiteure.

Wer den Zusammenhalt in der Gesellschaft erhalten will, muss sich den eigentlichen Problemen stellen und darf keine Potemkin’schen Dörfer bauen. Dazu zählen die Gebührenfreiheit im Kindergarten für Besserverdienende, aber auch Frühverrentungen. Dann müssen ältere Mitbürger auch nicht mehr betteln!

Daniel Karl, Igel

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