Leserbrief Die Willkommenskultur von 2015 hat sich weitgehend aufgelöst

Belarus und die EU

Zu den Artikeln „Wie der belarussische Diktator Lukaschenko die EU spalten will“ (TV vom 27. Juli), „Belarus will Flüchtlinge in EU schleusen“ (TV vom 9. Juli) und „EU sagt Litauen Hilfe beim Grenzschutz zu“ (TV vom 3. August) sowie zum Kommentar „Die EU kann Belarus nicht einfach gewähren lassen“ (TV vom 4. August):

Die EU von 2021 ist nicht mehr die EU von 2015. Sie schickt die Innenkommissarin  Ylva Johansson nach Litauen. Sie verspricht dort 20 bis 30 Millionen Euro Hilfe, damit der baltische Staat sich vor illegalen irakischen Flüchtlingen mit einem Zaun schützen kann, die der belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko gezielt an die Grenze bringt in einer Art hybrider Kriegsführung.

Johansson sieht dieses als eine Provokation und will, dass die litauische Grenze als Akt der europäischen Solidarität geschützt wird. Außerdem bietet Estland seinem baltischen Nachbarn 100 Kilometer Natodraht an.

Dies ist eine klare Abkehr von der Politik der offenen Grenzen, für die 2015 geworben wurde. Die europäischen Regierungchefs haben keine Lust mehr auf die politische Aufregung, die 2015 mit der Ankunft vielen Flüchtlingen entstanden ist und zum Aufkeimen von populistischen Parteien geführt hat.

 Als Angela Merkel kürzlich gefragt wurde, ob Europa die Pflicht habe, seine Tore für afghanische Flüchtlinge  zu öffnen, antwortete sie, wir könnten „all diese Probleme“ nicht lösen, indem wir jeden aufnehmen würden.

Als Marokko dieselbe Taktik wie Belarus an der Grenze zur spanischen Exklave Ceuta anwenden wollte, verstärkte die spanische Regierung den Grenzzaun, ging einen ähnlichen Deal mit Marokko ein wie die EU mit der Türkei und zahlte an Marokko die geforderten Bestechungsgelder.

 In Spanien droht die jetzige Mitte-Links-Koalition von einer rechtsgerichteten mit der populistischen Partei Vox abgelöst zu werden, die sich entschieden gegen Einwanderung ausspricht; in Italien wird Matteo Salvinis Lega von einer neuen Partei rechts überholt; in Frankreich ist Präsident Emmanuel Macron so weit nach rechts gerückt, dass der Unterschied zwischen ihm und  Le Pen sich immer schwerer ausmachen lässt. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass 2015 der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán von der EU schwer angegriffen wurde, weil er als Erster einen Grenzzaun gegen Flüchtlinge errichten ließ. Er hat sich schließlich nicht dem Mainstream anpassen müssen, sondern der europäische Mainstream hat sich auf ihn hinzubewegt.

Die  Richtung wird noch klarer, wenn wir sehen, dass die EU-Grenzschutzbehörde Frontex bis 2027 auf 10 000 Beamte erweitert werden soll. Sie wird zudem mit Überwachungszeppelinen und Drohnen ausgestattet. Die Willkommenskultur von 2015 hat sich weitgehend aufgelöst; die Außenmauern werden aufgebaut.

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