Kultur Egk mich am Orff!

Zum Artikel „Michael, der Holocaust und ein Trierer Konzert“ und zum Kommentar „Ab auf den Schrotthaufen der Musikgeschichte!“ (TV vom 20. März) schreiben Wolfgang Grandjean, Peter Schuh, Dr. Hermann Schnarr, Fred Casagranda, Rolf Tybout, Lambert Norta, Elisabeth Thiel und weitere Mitglieder des Trierer Konzertchors, Markus Jakobs und Hanns-Georg Salm:

Kann man eigentlich keine seriöse Diskussion über Hans Pfitzner, den „Michael Jackson unter den romantischen Komponisten“ (so der Volksfreund), in diesen Zeiten erwarten? Eine Diskussion, die Pfitzners antisemitische Ausfälle in der berüchtigten „Glosse“ von 1945 im Kontext seines Lebens sieht? Zählen eigentlich die Handlungen eines Menschen, der persönlich nie einem jüdischen Bürger geschadet hat – sich übrigens auch nicht an Kindern vergriffen hat –, der sich aber für jüdische Freunde erfolgreich bei der Nazi-Bürokratie eingesetzt hat, oder zählen nur die antisemitischen Ausfälle eines verwirrten 80-jährigen Cholerikers, die im Übrigen nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren?

Was zählen überhaupt die Erkenntnisse der Wissenschaft in Zeiten Donald Trumps und der digitalen Medien, wenn man mit einer schmissigen Zeitungsüberschrift Aufsehen erregen kann? Die Formulierung, „der Komponist verteidigte den Holocaust“, weckt die Vorstellung, Pfitzner habe die Judenvernichtung in den Konzentrationslagern befürwortet. In dem (zugegebenermaßen etwas verwirrenden) Text der Glosse heißt es aber: „Grausamkeit ist ein dem deutschen Wesen ganz und gar fremder Zug. Bei den Konzentrationslagern und der Judenverfolgung trat er jedoch erschreckend in die Erscheinung.“ Das übersieht die Anti-Pfitzner-Kampagne in den digitalen Medien geflissentlich, weil es nicht in den Kram passt.

Dafür haut der Artikel weiter kräftig auf die Pauke: Denn die Schreiberin weiß genau, wohin Pfitzners Eichendorff-Kantate gehört: auf den „Schrotthaufen der Musikgeschichte“. An einen Popstar wie Michael Jackson oder einen David Hasselhoff reicht Pfitzner natürlich nicht heran! Und ein meinungsfreudiger Theaterintendant mischt sich auch ein, bezeichnet Pfitzners Eichendorff-Kantate als „schwülstiges Oratorium“ und outet sich dabei als jemand, der offensichtlich nicht weiß, wovon er spricht.

Den Veranstaltern unterstellt die Schreiberin schließlich eine „geschmacklose und völlig überflüssige Provokation“. Darf es ein bisschen weniger arrogant sein?

Wolfgang Grandjean, Trier

Der Komponist war nach dem Urteil eines renommierten Musikkritikers in seinen politischen Äußerungen „verbohrt bis zur Unzurechnungsfähigkeit“. Die Komposition ist reizvoll. Das erzeugt Reibung und führt, wie schon 2007 zum Tag der deutschen Einheit in Berlin, wo die Kantate von Ingo Metzmacher dirigiert wurde, zu grundsätzlichen Fragen. Dabei eignen sich weder Eichendorffs Texte noch Pfitzners Musik zur politischen Propaganda. Insofern kann (und muss) man Person und Werk voneinander unterscheiden. Zu diesem Ergebnis wird wohl auch die Deutsche Bundespost gekommen sein, als sie den Komponisten Pfitzner 1994 mit einer Sondermarke zum 125. Geburtstag ehrte. Die Intendanz in Trier und die Verantwortlichen in Mainz sollten sich das 1922 erstaufgeführte Werk „Von deutscher Seele“ noch einmal vornehmen und ihre Haltung überdenken.

Peter Schuh, Trier

Zur Klärung der Frage, ob man Pfitzners Musik das Recht absprechen darf, aufgeführt zu werden, ist die Frage zu beantworten, ob sein Werk antisemitisch ist. Ich kenne nicht alle Werke Pfitzners, deshalb bin ich dankbar für Hinweise der Leute, die als Experten in Sachen Pfitzner erscheinen.

Da gibt es Fachleute durch ihre wissenschaftliche, von der Suche nach der Wahrheit geleitete Arbeit, andererseits aber auch Fachleute, die dem Komponisten das Recht aufgeführt zu werden absprechen – diese Fachleute werden in den Medien laut und lauter. Worin liegt deren Fachwissen, das solche Verlautbarungen rechtfertigen könnte?

Bei Wagner kennen wir antisemitische Texte, wir kennen auch antisemitische Musik bei Wagner: Die Judenkarikaturen Beckmesser und Mime, ja auch Kundri. Sie sind allen Wagner-Kennern geläufig, Meistersinger, Siegfried und Parzifal gehören zum Kanon der Spielpläne deutscher Theater. All das wird aufgeführt. Wo findet sich Derartiges bei Pfitzner? Wo im „Armen Heinrich“, in der „deutschen Seele“, im „Palestrina“?  Aber – ich kenne nicht alle Werke. Die Antwort der Experten auf diese Frage muss theoretisch sein, bezogen auf die Sachlage! Politisches Biedermann-Geschwätz ist dabei nicht zielführend. Ich freue mich auf die Antwort der Experten.

Dr. Hermann Schnarr, Trier

Michael – der Name nicht des heiligen Erzengels, sondern des Popkönigs Meikel Dschäksen ist das erste Wort der Überschrift! Mehr noch:  Als übergroßer Blickfänger der ganzen Seite springt – wortwörtlich: springt – dieser Held unserer Zeit in seiner schreienden Aufmachung dir ins Gesicht. Worum geht es?

Man plant in Trier die Aufführung eines hochbedeutenden Musikwerks eines umstrittenen Komponisten. Katharina de Mos referiert im Haupttext der Seite wohlabgewogen Pro- und Kontra-Stimmen aus dem Vor- und Umfeld dieses Vorhabens. So weit will man ihr ein Lob für seriöse Journalistenarbeit nicht vorenthalten.

Selbstverständlich darf ein Journalist über die objektive Berichterstattung hinaus seine eigene Sicht der Dinge haben und diese „Meinung“ auch äußern. Das tut Frau de Mos mit radikaler Gründlichkeit, indem sie, nicht nur den Trierer Konzertveranstaltern, sondern überhaupt rät, Pfitzners Kantate „Von deutscher Seele“ nach Worten von Joseph von Eichendorff kurzerhand „auf den Schrotthaufen der Musikgeschichte“ zu schmeißen.

Tue ich ihr Unrecht, wenn ich mich dadurch fatal an Bücherverbrennungen, nicht nur die vom 10. Mai 1933, und an die Zerstörung neuer und alter Kulturgüter, nicht nur kürzlich durch IS-Terroristen, erinnert fühle? Wo ist der Schrotthaufen, auf den man konsequenterweise Luthers Bibelübersetzung entsorgen kann?

Die hohe kompositorische Qualität von Pfitzners Musik steht außer Zweifel. Sein wohl bedeutendstes Werk, die Oper „Palestrina“, wurde 1917 durch Bruno Walter uraufgeführt. Der jüdische Dirigent war mit Pfitzner befreundet, Briefwechsel zwischen beiden gab es sogar wieder nach dem Krieg. Thomas Mann nahm die Oper begeistert auf und war 1918 in München Mitbegründer des „Hans-Pfitzner-Vereins für deutsche Tonkunst“. Sicher: Richard Strauss schreibt „schöner“, Mahler tiefgründiger, Reger gelehrter, Schönberg innovativer, Alban Berg inniger, intimer, Hindemith …

Es steht jedem frei, Pfitzners Musik zu mögen oder auch nicht. Freilich sollte man sie dafür erst mal kennen! Weshalb wird sie kaum aufgeführt? Gewiss zum Teil wegen der inkriminierten antisemitischen Äußerungen und seiner halsstarrigen Unbelehrbarkeit auch nach 1945. Nach dem Krieg wurde ihm verübelt, dass er 1933 den „Protest der Richard-Wagner-Stadt München“ gegen Thomas Manns Rede vom 12. Februar 1933 über „Leiden und Größe Richard Wagners“ unterschrieben hatte.

Aber vor allem hatte er seit jeher Anstoß erregt durch den oft zänkischen, persönlich anrempelnden Ton seiner Schriften, in denen er als „letzter Romantiker“ sich gegen den Zeitstrom Neuer Musik wendete, der, unter Hitler unterdrückt, nach dem Krieg das Musikleben bestimmte. Da war kein Platz für einen Pfitzner. Die Frage nach der Qualität blieb da außen vor. Aber dass jetzt seine Werke es sich gefallen lassen müssen, an den „Songs des King of Pop“ gemessen zu werden?! Dazu fehlen mir einfach die Worte.

Aus gewissen Gründen, die nicht hierher gehören, gehe ich nicht gern nach St. Maximin. Aber zur Aufführung der Pfitzner-Kantate werde ich da sein am 29. September 2019, am Namenstag des Popkings Meikel, oder vielmehr am Festtag des heiligen Erzengels Michael, des Seelenwägers. Der mag dafür sorgen, dass manche Verweigerung noch mal überlegt wird.

Der „Fall“ Hans Pfitzner ist wahrlich viel komplexer, als dass man ihn jetzt noch mit lauthalsiger moralischer Entrüstung auf seine allerdings virulenten antisemitischen Äußerungen reduzieren könnte.

Die reichen zum Teil bis in die 1980er Jahre zurück, als man in Deutschland noch nichts wusste von Hitler und Holo„koost“, das man wohl für ein amerikanisches Wort hält, da kaum einer sich an den 51. Psalm erinnert: „Holocaustis non delectaberis – an Brandopfern hast du kein Gefallen.“

Pfitzners Person mögen wir aus mancherlei Gründen sehr kritisch beurteilen, seinem Werk sollten wir dazu verhelfen, gehört zu werden.

 Es könnte uns aufgehen, dass „vielleicht kann gut sein aus Gnade, was in Schlechtigkeit geschaffen wurde.“ (Aus den Abschiedsworten des „deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn“ in Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“.)

Fred Casagranda, Konz-Könen

„Es war sein [= Hitlers] angeborenes Proletentum, welches ihn gegenüber dem schwierigsten aller Menschenprobleme den Standpunkt eines Kammerjägers einnehmen ließ, der zum Vertilgen einer bestimmten Insektensorte angefordert wird“ (aus Pfitzners Glosse zum Zweiten Weltkrieg, 1945). Aus dem Kontext wird klar, dass Pfitzner jede Gewaltanwendung gegen Juden verurteilt. Er sagt also gerade das Gegenteil von dem, was die Journalistin ihm – ohne den Kontext zu kennen, und mit Hinzufügung des fatalen Wortes „notwendig“  – unterstellt.

Nicht dass dieser Kontext Anlass zu Freude gibt, denn in der Glosse missbraucht Pfitzner den Begriff  „Judentum“ als Synonym für das Böse schlechthin, das sich in Juden wie in Nicht-Juden gleichermaßen manifestieren könne. Absurd, aber: Pfitzners Haltung zu Juden und Judentum ist komplex und lässt sich nicht auf einige triftige Stichworte festlegen; ich verweise auf den Aufsatz Johann Peter Vogels zu diesem Thema, auch zu Pfitzners energischem Einsatz für seine vielen jüdischen Freunde 1933.

Hans Pfitzners Haltung und Taten nenne ich Zivilcourage, denn sie brachten ihn in Konflikt mit den neuen Machthabern. Ein geradezu erfrischender Kontrast mit der passiven Haltung der meisten Deutschen, die sich (sofern sie der „Machtübernahme“ nicht gleich zustimmten) mehr oder weniger auffällig von ihren jüdischen Freunden distanzierten und lieber weggeschaut haben.

Rolf Tybout, Oudewater (Niederlande)

Der Artikel und insbesondere der Kommentar von Katharina de Mos haben uns doch sehr nachdenklich gestimmt. Die von der Person Hans Pfitzner nachgewiesenen Äußerungen, die vornehmlich nach dem Zweiten Weltkrieg datieren, sind unerträglich. Anders ist es aber mit seiner Musik, insbesondere mit dem geplanten Konzert „Von deutscher Seele“. Diese Komposition einschließlich des Textinhaltes schürt keine Fremden- oder Menschenfeindlichkeit. Es ist ein Werk, dem in Fachkreisen der Musik eine hohe Wertigkeit zugesprochen wird und das für unseren Chor eine musikalische Herausforderung darstellt.

Das Werk wurde 1921 unter dem Einfluss der Romantik komponiert und basiert auf Gedichten von Joseph von Eichendorff. Dieser Dichter ist in der klassischen Musik wohlbekannt – auch andere Komponisten haben seine Gedichte vertont. Der Trierer Konzertchor hat bereits einige dieser Werke gesungen.

Vor Probenbeginn hat sich der Chor über den Komponisten Pfitzner informieren lassen und Musikproben aus seinem Werk erarbeitet. Wir waren uns dann einig, dass man zwischen dem musikalischen Werk und der Person unterscheiden sollte! Dies ist – siehe Artikel – ja auch in der öffentlichen Meinung bei Komponisten wie Carl Orff und Richard Strauss die Regel.

Was darf man? Was darf man nicht? Wem schadet die Aufführung dieses Chorwerks? Wo bleibt die Freiheit der Kunst? Wir betonen dabei die Kunst und nicht den Künstler. Wer hat das Recht, Dinge „auf den Schrotthaufen der Musikgeschichte“ zu werfen?

Wir sind ein großer Chor, der seit mehr als 50 Jahren die unterschiedlichsten Werke unterschiedlichster Komponisten wie Guillaume de Machaut über Kompositionen für die Trierer Kurfürsten bis zu Uraufführungen von Heinz Heckmann dem interessierten Publikum vorgestellt hat. Eine große Bandbreite an unterschiedlichen Oratorien und sonstiger Musik war in all den Jahren unser Arbeitsfeld.
All diese Werke haben wir mit hohem persönlichem Einsatz verwirklicht. Mit der gleichen Energie haben wir Ende 2018 mit den Proben für das vorgenannte Werk begonnen. Wir müssen doch der sehr einseitigen Sichtweise des Artikels, insbesondere dem Kommentar der Verfasserin, widersprechen, da hierdurch sowohl die Mitwirkenden des Konzertes als auch das Publikum nicht angemessen über das Werk informiert wurden.

Der Vorstand des Trierer Konzertchors, Lambert Norta, 1. Vorsitzender

Als Mitglieder des Trierer Konzertchors bedanken wir uns für den Artikel. Er eröffnet offensichtlich die von uns angestrebte öffentliche Auseinandersetzung über unsere Aufführung der Kantate „Von deutscher Seele“.

Die Formulierung „Schrotthaufen“, die an Scheiterhaufen denken lässt, halten wir allerdings für eine rhetorische Entgleisung, die nicht dem von uns angestrebten Niveau einer demokratischen, respektvollen und von Sachwissen getragenen Diskussion aufgeklärter Bürger entspricht. Wir erwarten Sachwissen, überlegte Sprache und Respekt.

Elisabeth Thiel, Uli Laux, Hiltrud Zimmer, Christine Haßfeld, Ulrich Ruh, Richard Krings, Arno Melchisedech, Elke Thees, Hildegard Thiel, Wilhelm Spang, Ursula Smith, Monika Herberich, Birgit Auernheimer, Edelgard Erfurth, Anne Eliès-Neuberg, Christiana Massem, Eva Sonne-Krings, Christiane Biewer, Susanne Schneider, German Robling, Matthias Massem, alle Trierer Konzertchor

Ich bin entsetzt, dass Katharina de Mos die Unschuld Michael Jacksons infrage stellt. Sie schreibt: „Auch schreckliche Menschen können großartige Werke hinterlassen. [...] Aber ist es in Ordnung dieses Werk zu würdigen, wenn der berechtigte Verdacht besteht, dass sein Schöpfer Kinder missbraucht hat?“

Michael Jackson wurde 2005 vor Gericht in allen Anklagepunkten freigesprochen. Dabei sagten unter anderem die beiden Menschen, die ihn jetzt in der Neverland-Doku belasten, als Zeugen für ihn aus.

Ihn als einen „schrecklichen Menschen“ zu betiteln, nachdem er seit zehn Jahren tot ist, sich nicht mehr wehren kann und sicherlich mehr für die Menschheit getan hat als jeder andere von uns, finde ich abscheulich. Bitte bleiben Sie bei den Fakten.

Markus Jakobs, Oberbillig

Wenn Hans Pfitzner noch selbst zur Trierer Debatte Stellung nehmen könnte, dann würde er diese mit einem einzigen Satz beenden: „Egk mich am Orff!“ Wohlwissend, dass er diesen Ausspruch in völlig anderem Zusammenhang tat.

Hanns-Georg Salm, Gondenbrett/Eifel

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