Ein Buch mit mehr als sieben Siegeln

Die Argumente gegen den Begriff der Leitkultur, die Universitätspräsident Professor Peter Schwenkmezger nach der Berichterstattung des TV vorgetragen hat, zeigen, dass es eben doch den akademischen Elfenbeinturm gibt, welchen mancher unserer Wissenschaftler bewohnt.

Die für Schwenkmezger eindeutigen Normen unseres Grundgesetzes bilden für den Normalbürger der nichtakademischen Niederung meist ein Buch mit mehr als sieben Siegeln. Und dass auch der Gesetzgeber teils über seine eigenen Formulierungen stolpert und gern erläutern will, was gemeint ist, zeigt Artikel 3: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich." Was soll, bitteschön, danach in den Absätzen 2 und 3 noch der Hinweis, Männer und Frauen seien gleichberechtigt und niemand dürfe wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung und so weiter benachteiligt werden? Dementsprechend scheint mir Bundestagspräsident Norbert Lammert näher am Puls der alltäglichen Erfordernisse, wenn er fordert, es müsse geregelt sein, was gilt. Diese Lammert'schen Forderungen dürfen sich meiner Ansicht nach jedoch nicht nur auf Migranten und ihre Integration in die deutsche Gesellschaft erstrecken, sondern auch auf diejenigen, deren deutsche Abstammung "über alle Zweifel erhaben" ist. Wenn und solange der TV fast täglich über Gewalt auf den Straßen der Stadt berichtet - und in Trier leben wir ja noch in der friedlichen Provinz -, so lange ist ganz offenbar überhaupt nicht klar, "was gilt", und der Mindestbestand an gemeinsamen Regeln und Rechten ist gerade nicht festgelegt, oder er wird nicht durchgesetzt. In der Tat ist ein Leitkultur-Parallelkonzept entbehrlich, aber die Grundgesetz-Normen sollten schon "auf Trinkstärke" herabgesetzt werden. Ich fürchte, dass Herr Schwenkmezger mit seinen Bedenken gegen die Leitkultur-Debatte dazu beiträgt, die Durchsetzung der gemeinsamen Regeln und Rechte wieder einmal einzig auf die Polizei abzuwälzen. Diese Aufgabe geht jedoch jeden an - umso höher er auf der sozialen Leiter steht, desto mehr. Und hier wünschte ich mir Klarheit, welche Beiträge außer Bedenken gegen die "unsägliche" Leitkultur Herr Schwenkmezger und seine wissenschaftlichen Kollegen dazu geleistet haben. Wulf-Rüdiger Wulff, Trier

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