Politik Eine Frage des Anstands und des Respekts

Zur Berichterstattung über die bevorstehenden Landtagswahlen schreibt Ernst Steinmetz:

Ich möchte betonen, dass ich kein Corona-Leugner und kein Querdenker bin. Und auch die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung möchte ich hier nicht kommentieren. Aber dass in dieser Zeit, wo fast alles geschlossen ist und fast alle Kontakte verboten sind, in zwei Bundesländern Wahlen sind, das möchte ich kommentieren.

Im Hinblick auf die unvorhersehbare Entwicklung der Pandemie wurde am 17. Dezember 2020 das Landeswahlgesetz und das Kommunalwahlgesetz in Rheinland-Pfalz dahingehend geändert, dass eine ausschließliche Briefwahl angeordnet werden kann, wenn „das öffentliche Leben am Wahltag in dem betroffenen Stimmbezirk oder Wahlkreis insgesamt weitgehend zum Erliegen gekommen sein wird“. Diese Festsetzung ist so dehnbar wie frisch gekauter Kaugummi und wahrscheinlich mit Vorsatz in dieser Form formuliert worden, damit es so ausgelegt werden kann, wie es der Politik gerade passt. Daraufhin haben 13 Wahlkreise den Antrag auf ausschließliche Briefwahl gestellt, was vom Landeswahlleiter jedoch am 3. Februar abgelehnt wurde.

Wenn das öffentliche Leben jetzt noch nicht weitgehend zum Erliegen gekommen ist, wie weit muss es dann noch kommen, bis diese Formulierung zutrifft? In allen Medien diskutieren jeden Tag Politiker aller Parteien über die Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung, aber die Wahlen am 14. März in zwei Bundesländern wurden noch von keinem infrage gestellt, weil sie alle gewählt werden wollen. Wenn ich gleichzeitig meinen 88-jährigen Vater und meine 84-jährige Schwiegermutter zu mir nach Hause einladen würde, würde ich mich strafbar machen. Aber am Wahltag kommen, zusätzlich zu den Wählern, in Rheinland Pfalz 50 000 und in Baden-Württemberg 80 000 Wahlhelfer in den Wahllokalen in größeren Gruppen zusammen, als dies in kleinen Gastronomiebetrieben der Fall wäre, sofern diese geöffnet wären. Unabhängig davon, wie viele Wähler Briefwahl beantragt haben. Und auch, wenn eine ausschließliche Briefwahl nicht verfassungskonform sein sollte, hätten alle Wahlen auf den Termin der Bundestagswahl im September verschoben werden können. Ich möchte nicht zur Diskussion stellen, ob am Wahltag alle Hygienevorschriften eingehalten werden können. Die Entscheidung, diese Wahlen durchzuziehen, ist keine wissenschaftliche Frage. Es ist eine Frage des Anstands und des Respekts gegenüber der Bevölkerung. Zwei Begriffe, die in der Politik relativ unwichtig zu sein scheinen.

Ernst Steinmetz, Wincheringen

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