Gesellschaft Enspannt euch!

Zur Berichterstattung und zu Leserbriefen über die Diskussion um politische Korrektheit im Karneval, zum Kommentar „Deutschland will keine Narren an der Staatsspitze“ (TV vom 5. März) und zum Forum „Keine Witze über Witze, bloß nicht“ (TV vom 9./10. März) schreiben Joachim Schröder, Gerhard Deussen, Wolfgang M. Müller, Rainer Hülsmann, Bernhard Benischek, Thomas Zuche, Hartmut Beitzel und Prof. Dr. Manfred Matschke:

Sind wir eigentlich noch normal? Ein Kind geht mit Indianerkostüm zur Kita und wird ausgeschlossen – das gilt als rassistisch. Eine Frau geht in die Bütt und setzt einen Kalauer – das gilt als sexistisch. Ein Mann legt ehrlich erworbenes Vermögen an – das gilt als egoistisch. Wird es nicht langsam Zeit, mal wieder zur Vernunft zu kommen und objektiv zu bewerten, was richtig oder falsch sein könnte? Ich wünsche mir eine neidfreie und ehrlichere Debatte!

Joachim Schröder, Pronsfeld

„Es wird der Tag kommen, an dem die Kinder des Weißen Mannes sich wie Indianer kleiden werden, Perlenschnüre und Stirnbänder tragen werden. Aus dieser Generation werden unsere ersten wahren nichtindianischen Freunde hervorgehen.“ Diese Prophezeiung der Hopi-Indianer wird nun leider nicht mehr in Erfüllung gehen. Da sind, wie der TV berichtete, zum Beispiel die Erzieherinnen einer Hamburger Kindertagesstätte davor, die den glorreichen Gedanken hatten, Karnevalskostümierungen als Indianer zu „verbieten“, um eine „kultursensible und diskriminierungsfreie“ Erziehung zu gewährleisten. – Aha.

Wie man aber Kultursensibilität erzielen will, wenn man bereits im Kindergartenalter den spielerischen Umgang mit anderen Ethnien unterbindet, entzieht sich meinem Verständnis; das mag das erzieherische Geheimnis dieses Kollegiums bleiben. Für mein Empfinden ist die Maßnahme eher kontraproduktiv.  Man kann das doch auch so sehen: Die Lust an der Verkleidung gehört zum Karneval wie auch zum Kindsein. Das könnte man nutzen, um in spielerischer Auseinandersetzung  fremde Kulturen zu erschließen, Kinder für diese zu begeistern und den Respekt vor ihnen zu fördern, und was wäre das anderes als „kultursensible“ Erziehung. Das „Verkleidungsverbot“ der Hamburger Kita ist zudem auch für das sicher notwendige Bemühen um Political Correctness keinesfalls hilfreich, trägt es doch in seiner Maßlosigkeit eher dazu bei, dass politische Korrektheit zu einem negativ besetzten Begriff wird.

Gerhard Deussen, Wittlich

Lieber Herr Reinhart! Danke für Ihr köstliches Forum 570. Sie schreiben zu Recht, wenn ... das Anti-Diskriminierungs-Mantra ... nicht endet, „ist bald alles verboten und jeder ein Opfer“. Wir sind auf dem besten Weg dorthin. Schreiben wir  die Literatur um (zum Beispiel „Onkel Tom‘s Hütte“), essen wir keine Amerikaner (in Zeiten von Trump auch schon eine Diskriminierung), keine Berliner, Frankfurter oder Wiener Schnitzel mehr, titeln wir die Operette „Der Zigeunerbaron“ um  und so weiter. Was ist gegen eine Verkleidung als edler Apache oder Sioux einzuwenden, der Cowboy (Kuhjunge) ist bedenklicher! Es treibt seltsame Blüten, wenn man jedes Wort auf die Goldwaage legen muss! Müssen Begrüßungsanreden ab sofort beginnen mit „Sehr geehrte Damen, Diverse und Herren“ (man beachte die Reihenfolge)? Wäre das political correct?!

Wolfgang M. Müller, Konz

Was für ein Zufall: Unterwegs auf der Autobahn bei Paris entdecke ich einen Leserbrief über Annegret Kramp-Karrenbauer, die Toiletten und die unantastbare Menschenwürde in Fastnachtszeiten. Mein weiblicher Chauffeur biegt ab zu einem nagelneuen Einkaufszentrum von Armani, Dior und Chanel. Très chic! Die Toilette aus feinstem Marmor, ein einziger Raum für Frauen, Männer und alles, was dazwischen ist. Ein vom Papa gewickeltes Baby gluckert zufrieden vor sich hin.

Abends will ich diese Erfahrungen in einem Trierer Salon besprechen. Ein sehr junger Oberarzt unterbricht mich: „Das ist doch selbstverständlich und langweilig!“ Wir plaudern dann über Coco Chanel, die jahrelang im Pariser Ritz gewohnt hat, einem Hotel mit immer noch geschlechtergetrennten Toiletten. Noch! Frau AKK hat sich ausschließlich über die „Ignoranten und Engstirnigen“ belustigt, die nicht verstanden haben, dass Frauen das Familienauto steuern, Männer das Kind päppeln, und auch, dass keineswegs so viele Toilettensorten gebaut werden müssen, wie es Bedarfsvarianten gibt.

Rainer Hülsmann, Trier

Vielen Dank für diesen schönen Beitrag, Peter Reinhart! Sie sprechen mir aus der Seele, lassen wir die Kirche einfach dort, wo sie hingehört: im Dorf.

Bernhard Benischek, Trier

Peter Reinhart hat sich in seiner Kolumne über die „notorisch Empörten“ empört, die bei Witzen – in meinen Worten – nicht mal Fünfe gerade sein lassen können. Tatsächlich mögen viele die Aufregung um Witze auf Kosten von Minderheiten nicht nachvollziehen, nach dem Motto „Haben wir denn keine anderen Probleme?“ Ich bin der Meinung, dass wir uns tatsächlich zu viel empören – und zu wenig! Zu viel über Banalitäten des Alltags, die von der Zeitung mit den großen Buchstaben aus Verkaufsinteresse hochgezogen werden. Hier täte mehr Gelassenheit gut. Aber wir empören uns auch zu wenig: über Klimakatastrophe, Massensterben vor Hunger oder auf der Flucht, wachsende Kriegsgefahr bei uns und vergessene Kriege anderswo, Folter, Waffenhandel – das sind Themen, die bei vielen nur ein Achselzucken hervorrufen. Im Angesicht dieser Katastrophen gehen zu viele Zeitgenossen zur Tagesordnung über. (Danke an die Schüler, die das gerade anders sehen!).

Herr Reinhart sieht eine „Gesinnungspolizei“ am Werk, die auf politische Korrektheit achte: „Sonderkommissariat Sprachterror“. Ein „Anti-Diskriminierungs-Mantra“ sei zu einer Haltung und einem Lebensstil mit Tendenz zur maßlosen Übertreibung geworden. Ich bin anderer Meinung. Der Spott, das Sich-Lustig-Machen über die Obrigkeit und die Mächtigen, stand an der Wiege des Karnevals. Es ist die Waffe derer, die keinen Einfluss im Konzert der Mächtigen haben. Aber sich-lustig-machen über Menschen, die ohnehin oft belächelt oder abgewertet oder angefeindet werden, das ist billig. Es ist auch menschenfeindlich. Und unchristlich. Die von Herrn Reinhart genannten Tabus sind keine alten Zöpfe, sondern Schutzräume für Minderheiten. Wer diskriminiert, setzt Menschen in ihrer Würde herab. Das wünschen sich die Witzemacher für sich selbst ja auch nicht. Wer in diesem Streit die Position der Verspotteten einnimmt, hat aus der jüngeren deutschen Geschichte gelernt: Innerhalb weniger Jahre wurden Minderheiten zuerst dem Spott, dann dem sozialen Tod,  schließlich der Vernichtung ausgeliefert. Mit dieser Geschichte im Hinterkopf wird man sehr hellhörig, wenn aktuell Minderheiten diskriminiert werden. Mir ist lieber, es wird überzogen, als dass wir achtlos darüber hinwegsehen, wenn Menschen, die es schwer haben, in ihrer Würde beschädigt werden.

Thomas Zuche, Trier

Lieber Herr Reinhart, vielen Dank für Ihren ironisch-satirischen (und fälligen öffentlichen) Beitrag! Es ist manchmal wirklich kaum zu ertragen, welche Zungenbrecher in zum Beispiel einer Vorrede geschwurbelt, aufzählend (nur ja keinen vergessen! korrekt bleiben!) abgesondert werden. Man hatte selbst nie die Idee, in irgendeiner Form inkorrekt zu sein, bis es einem dann aber richtig deutlich klargemacht wurde. Nun ist alle Welt (sind alle Münder) voll davon. Vielen Dank für Ihren Beitrag!

Hartmut Beitzel, Kelberg

Danke für die Glosse! Die Diktatur der „Gutbürger“ über Essen, Sprache, Leben, Berufsausübung, Witze und „drittes Geschlecht“ wird langsam unerträglich. Das abstrakt nachvollziehbare, aber in seinen Konsequenzen unbedachte Urteil des BVerfG über den Personenstandsregistereintrag eines „dritten Geschlechts“, das freilich ein subjektives Sammelsurium und nicht wirklich eingrenzbar ist, dürfte für die „Begünstigten“ eher ein Danaergeschenk sein. In einer künftigen Diktatur, deren Wetterleuchten schon sichtbar wird, dürfte ein solcher Eintrag eine verwaltungsmäßige Entlastung bieten, um „unwertes Leben“ aus dem „Volkskörper“ zu entfernen. Kinder, die in der Schule auf eine Toilette für das „dritte Geschlecht“ gehen sollten, dürften in Suizid-Situationen gebracht werden. Das jetzige Mobbing dürfte nur ein laues Lüftchen im Vergleich zum kommenden sein. Der Schwenk von der „Gleichberechtigung“ zur „Gleichstellung“ ist der Schwenk von der Eröffnung von Freiheitsgraden zum Zwang – siehe jüngste Vorstöße der Ministerinnen Giffey und Barley.

Prof. Dr. Manfred Matschke, Mertesdorf

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