Leserbriefe Er wäre ein Philosoph geblieben ...

Zum Leserbrief „Verharmlosung, Relativierung, Klamauk“ (TV vom 28. März) schreiben Peter Oldfield, Egon Kappes, Egon Sommer und Johannes Meyer:

Man darf wohl kontrafaktisch träumen und sich fragen, was wäre gewesen, wenn Karl Marx die Revolution als alternativlos nicht propagiert hätte. Er wäre dann ein Philosoph geblieben. Seine Analysen würde man vermutlich an Universitäten weltweit immer noch studieren. Er war damals einer von vielen denkenden Menschen, die versuchten, die Industrielle Revolution zu fassen. Sein Freund Engels beobachtete aus nächster Nähe die Situation der Menschen in den neuen Industriestädten Großbritanniens und schrieb von den „blue books“, den Berichten der parlamentarischen Untersuchungskomitees, ab, die die Grundlage wurden für für die späteren notwendigen Reformen. Arbeiter, die weniger gezwungen waren, in die neuen Industriestädte zu ziehen, als angezogen von den Gehältern, die höher waren als das, was sie vorher verdienten, machten die Entdeckung, dass sie jetzt zusammen ihre Stimmen erheben konnten und sich allmählich Gehör verschafften. Dieses ging offensichtlich an Marx  vorbei, so wie die Tatsache, dass reelle Gehälter nach und nach anstiegen sowie Preise im Lauf des 19. Jahrhunderts – etwa der Brotpreis – zurückgingen.

Nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Frankreich und in Deutschland konnte die Arbeiterklasse sich organisieren, und der Sozialstaat erlebte seine Anfänge. Dies war natürlich bescheiden verglichen mit heute, aber eine Revolution war dafür nicht nötig. Großbritannien konnte einen modernen Wohlfahrtstaat entwickeln, ohne die Gräuel einer marxistischen Revolution nach Art von Lenin oder Mao, die niemals davor zurückschreckten, Millionen von Menschen für Marxens revolutionäre Ziele rücksichtslos zu opfern. Man darf sich – wie gesagt kontrafaktisch –  fragen, was aus Russland ohne Lenin & Co. geworden wäre und wo es jetzt stünde.

Fast alle der mehr als dreißig Länder, die den Kommunismus übernommen hatten, haben ihn längst wieder abgeworfen.

Marx wollte (und Lenin und Mao versuchten durchzusetzen) eine Gesellschaft ohne Kapitalismus, Individualismus und Konkurrenzdenken. Das würde zu den heutigen Menschen überhaupt nicht passen, die viel mehr mit ihrem Facebook-Account und ihrem Lifestyle und der Karriere beschäftigt sind. Es ist darüber hinaus erstaunlich, dass wir täglich in Trier auf eine überlebensgroße Statue von Marx schauen werden, geschenkt von einem Land, das auf gutem Weg ist, mit seiner Zahl von mehr als 460  Milliardären die Vereinigten Staaten ohne Schamgefühl zu überholen, als wäre Mao nie gewesen. Bernhard Kaster hat natürlich Recht, den Klamauk des Karl-Marx-Jahres zu bedauern. Mit anderem Gräueln aus dem 20. Jahrhundert gehen wir nicht so leichtfertig um.

Peter Oldfield, Mertesdorf

Danke dem Volksfreund für die Veröffentlichung der Zuschrift von Bernhard Kaster! Ich bin ihm sehr dankbar, dass er den Klamauk um das Jubiläum des Trierer Philosophen und die Verharmlosung seiner Lehren und deren weltweite Auswirkungen relativiert und beim Namen genannt hat. Es war auch höchste Zeit. Denn nicht alles, was links ist, ist rechtens. Auch nicht bei dem Jubiläum eines Philosophen.

Bei allem Verständnis zur angemessenen Feier von „200 Jahre Karl Marx“ als berühmter Trierer – man sollte das Gesamtbild und somit beide Seiten von Karl Marx sehen. Bei anderen Größen der Vergangenheit ist man auch nicht zimperlich.

Egon Kappes, Zeltingen-Rachtig

„Wie lustig“, so beginnt Bernhard Kaster seinen Leserbrief zum Thema Karl Marx und meint damit die „Ampelmärxchen“, die zum Anlass des Jubiläumsjahres die Trierer Fußgängerampeln schmücken sollen. Als größten sichtbaren Fehler beschreibt der frühere Bundestagsabgeordnete die von 6,30 Meter nach Intervention auf 5,50 Meter gekürzte Marx-Statue auf dem Simeonstiftsplatz. Für einen konservativen Christdemokraten opportun ist die Feststellung, dass die Volksrepublik China sich systempolitisch, wie Nordkorea und Kuba, auf Marx beruft. Was Kaster noch alles vom Stapel lässt, erspare ich mir hier und komme zu seinem „klamaukfreien Blick“ und die Auswirkungen der Werke von Karl Marx. Am Ende wird’s nämlich schlicht und geschichtsvergessen, wenn Kaster von schrecklichen Auswirkungen schreibt, die bis heute, besonders aber bis ins 20. Jahrhundert hinein reichen sollen. Hier hätte er wirklich besser geschwiegen.

Wenn ein Politiker in unserem Land im geschichtspolitischen Zusammenhang überhaupt von „schrecklichen Auswirkungen“ schwadroniert, dann darf er das nur in folgender Opfer-Dimension tun: 65 000 000 Tote des Zweiten Weltkrieges. Das sind die wahrhaft schrecklichen Auswirkungen des 20. Jahrhunderts. Karl Marx starb am 14. März 1883.

Egon Sommer, Tawern

Herr Kaster, Mitglied des Bundestages a.D., meldet sich aus dem politischen Ruhestand und schlägt noch einmal auf den alten Klassenfeind Karl Marx ein. Das Aufstellen der Marx-Statue sei ein Fehler und die „Ampelmärxchen“ Klamauk. Richtig ist, dass China, Schenkender der Statue, ein Land ist, das nicht frei ist, in dem Menschen unterdrückt werden und Schlimmeres. Jeder weiß das! Ich persönlich freue mich auf die Statue. Karl Marx ist ein großer Sohn der Stadt Trier und gehört meiner Meinung nach ins Stadtbild, und nicht nur, weil man das touristisch ausschlachten kann.

Denn anders als in China kann hier in Deutschland sehr wohl eine kritische Auseinandersetzung mit dem Leben, dem Werk und der Wirkung von Karl Marx stattfinden, und anders als in früheren Jahrzehnten findet das nun auch gerade statt.

Die „Ampelmärxchen“ sind sicher klamaukig, aber Klamauk ist doch nichts Schlimmes!? Karl Marx ist jedenfalls nicht dafür verantwortlich, wenn in seinem Namen Verbrechen verübt wurden. Das ist Jesus Christus ja auch nicht. Man muss auch nicht alles gut finden, was Marx geschrieben hat, tue ich auch nicht. Jahrzehntelang war er ein rotes Tuch, persona non grata im öffentlichen Trier.

Als Trierer wusste man oft gar nicht, welche bedeutende Person der Weltgeschichte dieser Sohn der Stadt ist. Das Pendel ist nun zurückgeschlagen, und insofern muss auch ein Vertreter derjenigen politischen Richtung, die Marx jahrzehntelang verpönt hat, es ertragen, wenn heute seiner Meinung nach übertrieben wird. Auf jeden Fall aber kann Karl Marx in der öffentlichen Wahrnehmung uns daran erinnern, was so furchtbar ungerecht ist in dieser Welt, und genau das war doch auch Marx’ Motivation.

Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa zeigt der Kapitalismus in der westlichen Welt sukzessive stärker seine hässliche Fratze (ungebremster Anstieg der Gehälter und Boni in der Wirtschaft bei gleichzeitiger Stagnation und Verarmung weiter Teile der Gesellschaft, Korruption und Betrug in der Wirtschaft, ohne dass der Betrogene, nämlich der Kunde, dafür entschädigt wird, und vieles andere mehr).

Marx ist aktueller denn je, und um das zu erkennen, muss man wahrlich kein Kommunist sein.

Johannes Meyer, Trier

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