Leserbrief Ignorieren wäre für den eitlen Machtmenschen wohl die größte Strafe

Gerhard Schröder

Leserbrief zum Artikel „Vom Kanzler zum Sorgenkind der SPD“, TV vom 15. Juli:

Sorgenkind seiner Partei war er eigentlich immer wieder in seiner langen politischen Laufbahn: Gestartet als Juso-Chef, als Linksaußen, angekommen als alter Rechthaber, Kapitalist, dem es nie möglich war, eigene Interessen denen der Partei unterzuordnen. Erfolge in Wahlkämpfen haben über viele Jahre die Probleme mit der SPD überlagert. Auch seine Biografie hat ihn lange für Sozialdemokraten unangreifbar gemacht: Aus armen Verhältnissen stammend, hat er sich bis zum Kanzleramt hochgekämpft.

Dankbarkeit gegenüber seiner Partei aber war seine Sache nicht, seine Wurzeln hat er vergessen. Arroganz und Abgehobenheit haben ihn isoliert. Heute kann er deshalb keinen großen Schaden mehr anrichten. Privilegien auf Steuerzahlerkosten sind schon beschnitten worden, sie sollten ihm im Rahmen der Gesetze möglichst ganz gestrichen werden.

Aber warum muss die SPD sich das endlose Gezerre antun, diese künstliche Aufregung in den Medien, um einen Parteiausschluss gegen diesen alten Mannes zu erwirken, der keinerlei Einfluss mehr hat? Natürlich wird der politische Gegner genüsslich immer wieder an Schröders Parteizugehörigkeit und an sein Verhältnis zu Putin erinnern. Dabei gab es bekanntermaßen auch anderswo  Putin-Versteher, die jahrzehntelang alle Augen zugedrückt haben, um diesen Diktator bei Laune zu halten und Wirtschaftsinteressen zu genügen. Allzu viel Nähe zwischen politischem Amt und persönlichem finanziellen Gewinn gab und gibt es auch in anderen politischen Lagern. Ein Millionenvermögen durch Mitarbeit in zwielichtigen Finanzgeschäften gilt meines Erachtens in manchen Parteien als Nachweis für Kompetenz und Führungsqualität. Es ehrt die Sozialdemokraten, dass sie sich von  einem derartigen Verhalten auch in den eigenen Reihen distanzieren. Das muss reichen, in dem Bewusstsein der Scheinheiligkeit der Debatte. Einen alten Mann wegen Starrköpfigkeit und Charakterschwäche aus der Partei zu werfen, ist übertrieben. Sicherlich hätte man ihm frühzeitig die Gefolgschaft kündigen müssen, schon als er gegen die Interessen des „kleinen Mannes“ die Hartz-IV-Gesetze durchsetzte. So hat die SPD das Dilemma ein Stück weit selbst zu verantworten, weil sie zu lange weggeschaut hat. Soll ein Ausschluss vielleicht auch von eigenem Versagen ablenken? Heute aber gilt: Ignorieren wäre für den eitlen, selbstverliebten Machtmenschen wohl die größere Strafe.

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