Gesellschaft Erschütternde Schicksale

Zu unserem Artikel „Die Suche nach der letzten Gewissheit“ (TV vom 30. August) schreibt Erwin Lutz, Kanzem:

Mit tiefem Mitgefühl habe ich den Artikel gelesen. Die Schicksale der vermissten Deutschen, die Gefühle der Angehörigen und die Nichtbereitschaft  der polnischen Stellen zur Öffnung der Archive – auch gegenüber dem deutschen Suchdienst – sind erschütternd.

Das Schicksal meines Vaters ist mit dem vorbenannten Artikel fast identisch. Mein Vater, geboren 1910, geriet beim Rückzug der Wehrmacht 1944 bei Lublin in polnische Kriegsgefangenschaft. Er schrieb am 28. März 1944, am 5. Januar 1946 und am  5. Mai 1946 bei guter Gesundheit aus dem Kriegsgefangenenlager Lublin/Polen, Ulica Kollotaja 3 (Woientorch) zum Teil über das polnische Rote Kreuz. Weitere überprüfte Nachrichten kamen von entlassenen Mitgefangenen.

Die nächste bestätigte Lebens-Nachricht kam 1952 aus dem ehemaligen deutschen Zentralgefängnis Goleniów bei Stettin von einem entlassenen Mithäftling (Mein Vater und Herr Eisele kannten sich schon aus dem Lubliner Lager). Herr Eisele wurde aus diesem Gefängnis entlassen und berichtete über schlimme Haftbedingungen. Der aktuelle Gesundheitszustand meines Vaters sei sehr schlecht.

Nachsuchen durch den polnischen Kardinal Wyszyński, eine polnische Anwaltskanzlei in Stettin und private Ermittlungen waren ergebnislos.

Russland hat längst seine Archive geöffnet, eine Reihe Gefangenenschicksale konnten aufgeklärt werden. Und Polen, ein sozialistischer Staat mit den dort üblichen Überwachungspsychosen und Kontrollsystemen ähnlich den sowjetischen, schottet sich total ab.

Und es ist keine Aussicht auf Änderung wie etwa in der Sowjetunion; dort sind die Archive mittlerweile zugänglich.

In Polen stellt ein neues Gesetz alles unter Strafe, was Polen und polnische Kollaborateure in Verbindung zu Nazi-Deutschland stellen könnte. Sicher gab es in Polen Kollaboration, wenn auch nicht in dem Umfang und den Auswirkungen wie etwa bei der Vichy-Regierung in Frankreich. Eines aber steht fest: Aus der Erfahrung meiner Familie mit polnischem Handeln deutschen Kriegsgefangenen gegenüber ist ein solches Gesetz eher ein Grund, die polnische Mitgliedschaft in der EU abzulehnen.

Aktuell verlangen polnische Politiker Wiedergutmachungen in Billionen-Höhe. Gewiss hat Nazi-Deutschland Entsetzliches dort angerichtet. Durch die Westverlegung Polens um grob 200 Kilometer an die Oder verlor Deutschland Schlesien, Ost-Pommern und Ostpreußen. Durch hohe Reparationen und durch die Problematik der Integration von drei Millionen Vertriebenen in „Restdeutschland“ sind die in den 3+4-Verhandlungen erzielten Ergebnisse von Polen anerkannt. Die endgültigen Verzichte Polens sind dort festgelegt.

Trotz all dieser schlimmen Vorkommnisse werde ich keinen Polen verachten. Aber ich verachte die neue Bewegung der aktuellen polnische DUDA-Jaroslaw-Kaczynski-Regierung in den Nationalismus. Das sollten wir Europäer Polen nicht zugestehen.

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