Forum Es lebe die Republik!

Alles hat ein Ende ... nur der deutsche Adel nicht.

 Peter Reinhart

Peter Reinhart

Foto: TV/Klaus Kimmling

Guten Tag. Habe ich etwas verpasst? Hundert Jahre verschlafen? Ich staune.

Neulich ist der Urenkel des Eisernen Kanzlers Otto von Bismarck  gestorben: Ferdinand Herbord Ivar Graf von Bismarck-Schönhausen. Mein Beileid. War in den Nachrichten. Die Bunte weint: „Der Fürst ist tot.“ Der Focus bringt einen Nachruf auf „Fürst Ferdinand“. Der Spiegel weiß: „Standesgemäß wohnte der Fürst lange im Familienschloss.“ Und: „Als 1975 sein Vater starb, erbte er den Fürstentitel und ein großes Vermögen.“ Bild raunt: „Der Fürst fand seine letzte Ruhe neben seinem Urgroßvater.“ Und: „Die Königin des Jet-Sets … Gräfin Gunilla von Bismarck … flog aus Marbella ein.“ Auf volksfreund.de und zeit.de  und welt.de finden sich trockene Agenturmeldungen: „Seit dem Tod des dritten Fürsten Otto von Bismarck stand Ferdinand von Bismarck an der Spitze der alten deutschen Familiendynastie.“ Und so weiter.

Noch einmal: Habe ich etwas verpasst? Hundert Jahre verschlafen? Es gibt keine Adligen in deutschen Landen! Es gibt keine Adelstitel! Es gibt keine Erbhöfe!

Abgeschafft! Im August 1919, mit der Weimarer Verfassung, Artikel 109: „[…] Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes sind aufzuheben. Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden. […]“ Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Keine Kaiser, keine Könige. Keine Fürsten, keine Grafen. Keine Hochwohlgeborenen, keine Durchlauchten. Die Adelsprädikate derer von und zu? In Deutschland x-beliebige Silben des bürgerlichen Namens. Zu bedeuten haben sie: nichts.

Ferdinand Herbord Ivar Graf von Bismarck-Schönhausen war kein Graf. Er war auch kein Fürst, obwohl er sich so nannte und nennen ließ, in Anlehnung an die Familientradition, heißt es. Juristisch jedoch  zu bewerten wie ein Pseudonym oder Künstlername und „personenstandsrechtlich irrelevant“, sagt  das Bundesverwaltungsgericht.

Ich wiederhole: Vor exakt hundert Jahren hörte der Adel in Deutschland auf zu existieren, er verlor seine Titel und sämtliche Privilegien.

Und doch, irgendetwas macht kreuzbrave Republikaner anscheinend rattig, wenn die Nachfahren der Blaublüter techteln und mechteln, wenn sich in den Schlössern und Trutzburgen sagenhafte Herz-Schmerz-Geschichten zutragen oder wenn, wie in diesen Tagen, ein „Fürst“ das Zeitliche segnet.

Royale Volksbelustigung? Fol­klorestadl? Es dürstet das Publikum nach Pomp und Pathos, nach Glanz und Gloria. Warum bloß?

Tja, sagen die Forscher: ein Gegenentwurf zur Trübnis des Alltags; angesichts von so viel Durcheinander, so viel Wahnwitz, so viel Zukunftsangst in der globalisierten und digitalisierten Welt braucht es eine archaische Institution wie den Adel, die Sinn stiftet, Trost spendet, Orientierung liefert. Strahlend, glitzernd, abgehoben von der jämmerlichen Gegenwart, dem ­Chaos, den Krisen. Fluchtpunkt der Zu-kurz-Gekommenen. Märchenhaft. Träumen Sie weiter ...

Ich sage: Vive la République!

Herzliche Grüße!

Peter Reinhart

Stellvertretender Chefredakteur

E-Mail: forum@volksfreund.de

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