Fegefeuer der Eitelkeiten

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Walter Krug aus Trier sieht "Parteien und Medien wieder auf Treibjagd" und schreibt: Im Fall von Herrn zu Guttenberg schlagen die Empörung, der Neid, die Böswilligkeit und das Pharisäertum in den Parteien und Medien wieder zu. Dabei finden sich in Zeitungen Anzeigen von Ghostwritern zur Abfassung von Doktorarbeiten; und es sind die Möglichkeiten bekannt, wie "verdiente" Persönlichkeiten und geldgebende Wirtschaftsbosse einen Doktortitel erwerben können.

Wer in der Wissenschaft tätig ist oder war, weiß, wie die Beurteilung von Doktorarbeiten auch nach wissenschaftlichen Kriterien sehr schwanken kann. Um sich diesem "Dschungelcamp" zu entziehen, sieht Herr zu Guttenberg eine Lösung darin, seinen Doktortitel zurückzugeben, den er für seinen Beruf und seine Karriere nicht braucht.

Es gibt auch einen anderen Weg, nämlich "Aussitzen", bis ein neues Thema "aktuell" wird, was nicht lange dauern wird.

Ein Beispiel ist für mich die katholische Kirche. Sie ist eine Institution, die ex-definitione die höchsten Ansprüche an Moral, Ethik, Wahrheit und so weiter stellt. Als dann die "Sünden" einiger ihrer Diener bekannt wurden, war das Geschrei in den Medien und teilweise in der Bevölkerung groß. Und ein Jahr danach: höchstens ab und zu ein Aufflackern des alten Themas.

Lieber Herr Krug,

vielen Dank für Ihre Zuschrift. Über den Dr. a.D. zu Guttenberg ist alles gesagt, von fast allen. Zusammengefasst: Er hat getrickst und getäuscht, er hat scheibchenweise und verdruckst zugegeben, was sich nicht länger leugnen ließ, er hat hurtig seinen Doktortitel abgeschrieben - und er ist nach wie vor Minister, beim Volk beliebt wie eh und je. Eine Bagatelle also? Ein Kavaliersdelikt? Eine Fußnote der Geschichte?

Meine Meinung: Guttenberg hat seine Glaubwürdigkeit eingebüßt. Was ist Sein, was ist Schein? Was ist original, echt, authentisch, was ist gefälscht, Pose, Inszenierung? Wenn so einer über Werte, Wahrheit und Moral schwadroniert, stellt sich Unbehagen ein. Punkt.

Spannend finde ich Ihre Einschätzung, die Medien hätten zu einer Treibjagd auf den Lügenbaron geblasen. Ist das wirklich so? Den Bock hat doch wohl Guttenberg höchstselbst geschossen. Ein forscher Großwildjäger, der - um im Bild zu bleiben - schnell mit dem Finger am Abzug ist, für seine Fehlschüsse bislang aber stets andere verantwortlich gemacht hat. Soll der Mann weiterballern, wie es ihm gefällt? Nein. Ein Glück, dass es unabhängige Jagdbeobachter gibt.

Vertrauen ist gut, Kontrolle besser: Journalisten schauen den Mächtigen auf die Finger, hinterfragen offizielle Verlautbarungen, versuchen, Ungereimtheiten aufzudecken. Ohne Pressefreiheit keine Information - oder nur zensiert, gefiltert, wenn es "genehm" ist. So wie in Nordkorea oder im Iran.

Die Guttenberg-Affäre im Zeitraffer: Ein Jura-Professor outet den glamourösen Reservekanzler als schnöden Plagiator. Journalisten bohren nach und berichten, im Internet dröselt ein Kollektiv von anonymen Fahndern die Mogelpackung auf. Wort für Wort.

Hätten sie sich zufriedengeben sollen mit Guttenbergs erster Reaktion, die Vorwürfe seien "abstrus"? Deckel drauf und besten Dank, Herr Doktor? Nein, sofort ist klar: Da stimmt etwas nicht. Unterm Strich, bis jetzt: Ein Minister, der sich zum politischen Erneuerer der Nation aufplusterte, hat seinen Doktortitel erschlichen. Nicht mehr, nicht weniger.

Der Fall Guttenberg ist einer unter Tausenden, in denen Journalisten sich (oft erfolgreich) bemühen, üble Machenschaften aufzuklären.

Denken Sie etwa an die Affäre um Uwe Barschel. Im September 1987 verkündet der schleswig-holsteinische Ministerpräsident in einer denkwürdigen Pressekonferenz: "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, ich wiederhole, mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind." Danke, Herr Doktor, keine weiteren Fragen?

Denken Sie an den bräsigen Aussitzer Helmut Kohl, der sich partout nicht erinnern kann oder will, wer ihn und seine Partei mit Millionenspenden versorgte. Danke, Herr Doktor, keine weiteren Fragen?

Alles honorige Männer. Die Liste lässt sich endlos fortsetzen, sie umfasst Politiker aller Parteien, Wirtschaftsbosse und viele andere, darunter auch Medienleute. Wenn es um Macht und Machterhalt geht, ist manchen offenbar jedes Mittel recht.

Guttenberg hat die mediale Bühne intensiv bespielt und sich in Szene gesetzt.Bis hin zur vorweihnachtlichen Afghanistan-Fernsehshow mit Gemahlin Stephanie und dem eigens eingeflogenen Talkmaster Johannes Baptist Kerner - bezahlt zum Teil aus Steuermitteln.

Wer, wie die Guttenbergs, sein Leben öffentlich zur Schau stellt, weiß sehr genau um die Chancen, aber auch um die Risiken und Nebenwirkungen der Mediendemokratie. Der weiß, dass Journalisten nicht nur strahlendes Politikerfamilienglück auf Hochglanztiteln ausbreiten, sondern auch die dunkle Seite der Macht ausleuchten. Hochmut kommt vor dem Fall, heißt es. Mitunter vom Olymp direkt hinein ins Fegefeuer der Eitelkeiten.

Dieser Tage ist zu hören, dass der Fall Guttenberg eine neue Qualität im ewigen Beharken von Politikern und Bericht erstattern markiere. Gegen die Medien zu regieren, sei nahezu unmöglich geworden, mutmaßen Kommunikationswissenschaftler. Ich weiß nicht, ob das zutrifft. Guttenbergs Claqueure, vor allem die in bunten und boulevardesken Blättern, halten an ihrem Helden fest und verbreiten Durchhalteparolen. Ist ja auch völlig in Ordnung. Die Meinung ist frei.

Offenkundig richten immer mehr Politiker ihr Tun und Handeln nach der Quote und stimmen alles darauf ab, beim Publikum einen möglichst großartigen Eindruck zu hinterlassen.

Was Wunder, dass die Parteien frische Kandidaten nicht mehr allein nach politischem Talent auswählen, sondern danach, ob sie vorzeigbar sind. Gelackte Dauerlächler, hübsche Frauen. Etwa im Jahr 2020, sagen Spötter, werde der Regierungschef per Castingshow bestimmt - sofern nicht Günther Jauch bis dahin übernommen hat ...

Nicht alles glänzt, was die Medienwelt vergoldet. Auch Journalisten sind Menschen, auch Journalisten unterlaufen Fehler, genauso wie Politikern. Am Wert der Pressefreiheit, die aus dem Geist der Aufklärung geboren ist, ändert das nichts. Ubi dubium, ibi libertas. Wo der Zweifel ist, da ist die Freiheit.

Herzliche Grüße!

Peter Reinhart, stellvertretender Chefredakteur

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